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Das Myzel versorgt den Pilz - und manchmal auch  benachbarte Pflanzen mit Nährstoffen.
Das Myzel versorgt den Pilz - und manchmal auch benachbarte Pflanzen mit Nährstoffen.

Wohlleben auf den Boden der Tatsachen gebracht

02. März 2023
Vor einigen Tagen gab es wieder einmal Schlagzeilen in den großen Tageszeitungen zum Medienförster Peter Wohlleben. Diesmal wurde er allerdings nicht als der große „Waldversteher“ gefeiert, sondern vielmehr kritisiert. Er hat angeblich „Hirngespinste unter dem Waldboden“ verbreitet. Woher kommt die Kritik?

Der bekannte Medienförster Peter Wohlleben wird von den großen Publikumsmedien plötzlich kritisiert.

Eine der Kernaussagen in Peter Wohllebens Buch „Das geheime Leben der Bäume“ besagt, dass Bäume der selben Art sich weniger als Konkurrenten begreifen, als dies die Forstwissenschaft postuliert, sondern sich vielmehr gegenseitig aktiv unterstützen. So würden „Baummütter“ ihre „Baumkinder“ quasi stillen, nichts anderes sei der durch eine kanadische Wissenschaftlerin belegte Transport von Kohlenstoff von alten zu jungen Bäumen. Es waren romantische Bilder wie dieses, die einen medialen Hype auslösten und das Buch auf die Bestsellerlisten hievte. Vor kurzem nun erschien ein Artikel in einer der am höchsten angesehenen naturwissenschaftlichen Zeitschriften „nature ecology & evolution“, in dem drei nordamerikanische Wissenschaftler einige Behauptungen zum „WoodWideWeb“ einer kritischen Analyse unterzogen haben. Teilen Mutterbäume ihren Kohlenstoff und Stickstoffüberschuss über das Geflecht unterirdischer Mykorrhizapilze mit ihren Nachkommen und fördern dadurch das Überleben und Wachstum der Verjüngung?

WoodWideWeb

Herausgekommen ist bei dieser Metastudie (d.h. einer Auswertung vieler verschiedener wissenschaftlicher Arbeiten), dass die angeblichen Fakten nur wenig gesichert sind. Leider wurden sie aber vielfach ohne sorgsame Prüfung übernommen und überinterpretiert. Konkret zeigte sich, dass die Behauptung, wonach über Pilzhyphen wichtige Ressourcen wie Kohlenstoff und Stickstoff von Altbäumen auf Verjüngungspflanzen übertragen werde, um die Leistung von Sämlingen zu steigern, nicht ausreichend belegt ist. Dazu variieren die Ergebnisse der Felduntersuchungen zu stark und erlauben keine Verallgemeinerungen. Im Gegenteil: Für die Behauptung, dass ausgewachsene Bäume bevorzugt Ressourcen und Verteidigungssignale über das Mykorrhizageflecht an ihre Nachkommen weitergeben, gibt es keine von Fachleuten überprüften, veröffentlichten Belege. Die Autoren der Studie weisen auf das Fehlen guter Referenz- und Kontrollbehandlungen hin, die für eine strenge Überprüfung entscheidend sind. Wie sich zeigte, wurden die Befunde im Laufe der Zeit nicht mehr als Möglichkeit und unter Vorbehalt, sondern als vermeintlich nachgewiesene Fakten erwähnt.

Konsequenzen ziehen

Was kann man aus diesem durchaus peinlichen Befund lernen? Erstens, dass die kritische interne Qualitätsprüfung der Wissenschaft zwar Zeit braucht, aber sie funktioniert. Zweitens, die Medien hätten gut daran getan, zu Beginn des Wohllebenhypes genauer hinzuschauen und angesichts seiner erstaunlichen Behauptungen zu fragen, ob der Kaiser denn wirklich Kleider anhat. Die Häme mit der Peter Wohlleben von Spiegel & Co nun aber plötzlich bedacht wird, ist daher nicht ganz fair, denn die großen Publikumsmedien waren es, die ihm überhaupt erst die Plattform für die Verbreitung seiner kruden Thesen gegeben haben.

Nicht zuletzt bewahrheitet sich auch wieder einmal eine alte Grundregel: Vermenschlichung schadet in der Naturwissenschaft mehr als sie nützt. Fans von Peter Wohlleben werden jetzt einwenden, dass er es mit dieser Methode geschafft hat, dass dem Wald eine große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde. Zugleich können viele begeisterte Laien vor lauter Empathie mit der romantischen Baumfamilie jetzt nicht mehr recht unterscheiden, worauf es beim Schutz unserer Wälder und des Klimas wirklich ankommt.