Image
Auf den langen Weg gemacht: Ludwig Schlittmeier strebt einen Plenterwald an. Buche (l.) und Tanne (r.) spielen eine wichtige Rolle. Da muss auch mal eine größere Fichte weichen.
Auf den langen Weg gemacht: Ludwig Schlittmeier strebt einen Plenterwald an. Buche (l.) und Tanne (r.) spielen eine wichtige Rolle. Da muss auch mal eine größere Fichte weichen.

Wirtschaften mit der Natur

26. Februar 2023
Bauernwälder sind Wirtschaftswälder. Beim Wirtschaften kann man sich die Natur zunutze machen – so wie Ludwig Schlittmeier im Landkreis Landshut.
Image
Angereichert: In die Fichtenverjüngung wurden selbst gesammelte Eicheln verteilt. Die Saat ist aufgegangen.
Angereichert: In die Fichtenverjüngung wurden selbst gesammelte Eicheln verteilt. Die Saat ist aufgegangen.

Kaum habe ich mein Auto auf dem Hof in Ratzenstall in der Gemeinde Adlkofen geparkt, geht auch schon die Haustür auf und Ludwig Schlittmeier kommt mir mit einem offenen Lächeln entgegen. Wir halten uns nicht lange auf, eine freundliche Begrüßung und schon geht es weiter in den Wald. Auf dem Weg beschreibt der Landwirt kurz den Betrieb und seinen Werdegang: Gut 30 ha landwirtschaftliche Nutzfläche und 19 ha Wald, Milchviehhaltung und Rindermast bis 1986 auf Stroh. „Ich war ein Vollgaslandwirt, aber nicht zufrieden dabei“, sagt der Landwirt. Das änderte sich erst mit der Betriebsumstellung auf Mutterkuhhaltung und Ökolandbau im Jahr 1998. Die Umstellung hat die Familie aus der Arbeitsfalle geholt.

Image
Eichelsaatstation: Der Trog ist dauernd mit Eicheln gefüllt. Die Häher tun sich gütlich, verteilen die Eicheln aber auch im Wald.
Eichelsaatstation: Der Trog ist dauernd mit Eicheln gefüllt. Die Häher tun sich gütlich, verteilen die Eicheln aber auch im Wald.

Inzwischen sind wir im Wald angekommen. Schlittmeiers Gesichtsausdruck wird noch einmal freundlicher, die Körperspannung steigt noch ein wenig an. Und die Worte sprudeln aus ihm heraus. Alle paar Meter zeigt er auf ein anderes Detail und berichtet über seine Pläne und Erfahrungen.

Ein Plenterwald als langfristiges Ziel

Am 28. Februar 1990 fegte ein Sturm über die Wälder und warf bei Familie Schlittmeier 700 Festmeter Holz. Alle drei Jahre folgten weitere Stürme, die in den aufgerissenen Beständen ein leichtes Spiel hatten. Der Betrieb hatte, wenn man so will, Glück im Unglück. Denn auf dem größten Teil der Fläche war Naturverjüngung vorhanden, sodass nur wenig gepflanzt werden musste.

„Ich bin ein pflanzfauler Mensch“, erklärt Schlittmeier, „mein langfristiges Ziel ist ein Plenterwald“. Natürlich ist ihm klar, dass das Generationen dauern wird. Aber der erste Schritt dorthin ist getan. Sein Sohn geht diesen Weg mit. Das zweite große Ziel ist eine Vielzahl an Baumarten. 32 davon stehen inzwischen im Ratzenstaller Wald. Schlittmeiers Überlegung dabei: „Niemand kann sagen, wie die Situation in 30 Jahren aussehen wird. Die nachfolgenden Generationen sollen aber die Möglichkeit haben, je nach der Mode, die es auch bei den Holzarten gibt, in die richtige Schublade zu greifen.“

Und sie sollen Samenbäume der Arten vorfinden, die dann mit dem Standort gut zurechtkommen. Beobachten und Ausprobieren sind dabei zwei wichtige Faktoren, eine positive Grundeinstellung kommt dazu. So hat der Waldbauer zum Beispiel 25 Bornmüllertannen gepflanzt, von denen 23 verdorrt sind. „Ich könnte mich darüber ärgern“, sagt Schlittmeier, „aber ich freue mich, dass ich noch zwei habe.“

Inzwischen sind wir an einer Laubholzgruppe angekommen. Hier wurden ursprünglich Robinien gepflanzt. Davon stehen noch zwei, die anderen wurden durch Flatterulme und Linde ersetzt. „Der Standort war zu gut“, musste der Waldbesitzer feststellen. Also wurde an einem Standort mit schlechterem Boden eine neue Gruppe an Robinien gepflanzt. An einer Gruppe von Elsbeeren sagt Schlittmeier, dass die Qualität zu wünschen übrig lasse, aber ein Ziel sei erreicht: Die späteren Generationen könnten auf Samen der Elsbeere zurückgreifen.

Auch am Sonntag ist er im Wald

Wir gehen gerade an einem Fichtenbestand entlang, der aus Naturverjüngung nach dem Sturm Wiebke entstanden ist. Darin steht eine Tanne aus der Waldgeneration vor dem Sturm. Sie ist zwar etwas dicker als die viel jüngeren Fichten aber kaum höher und sie hat fünf Gipfel. „Wertholz gibt das nicht“, weiß Schlittmeier, „aber ich habe sie als Samenbaum stehen lassen.“

Fester Bestandteil bei Schlittmeier ist der Waldbegang am Sonntagmorgen. „Auch wenn wir während der Saison sechs Tage in der Woche im Wald sind, bin ich auch am siebten Tag draußen.“ So hat er sich gewundert, dass auf einer Fläche nahe dem Waldrand keine Buchenverjüngung aufkam, ein Stück weiter drinnen aber schon. „Bei einem meiner Waldbegänge habe ich gesehen, dass es am Waldrand dunkel war, weiter hinten aber die Sonne in den Bestand schien. Er hat dann am Waldrand eine alte Buche gefällt und jetzt gibt es auch dort junge Buchen.

Und wenn bei einem Waldspaziergang mal der Wind geht, schaut Schlittmeier, wie die Bäume reagieren: Bewegen sich die Fichtenstämme bis zum Boden, sind sie zu wenig verwurzelt, die unteren fünf bis sechs Meter des Stammes sollten ruhig stehen. Die Fichte ist derzeit die Brotbaumart und sie wird es auf absehbare Zeit noch bleiben. In diesem Bewusstsein legt er in dem Teil, der noch „Fichtenacker“ ist, besonderen Wert auf Stabilität. „Wenn die Fichten sich in der Krone an den Nachbarbaum anlehnen können, dann vergessen sie das Einwurzeln,“ erklärt der Waldbauer.

Spielraum für Entscheidungen

Inzwischen sind wir an einer Fläche angekommen, wo die Lücke mit Douglasien ausgepflanzt wurde. Schlittmeier freut sich, dass die dicker sind als die umstehenden Fichten. Dazwischen entdecke ich auch eine einzelne Eiche und daneben einen Douglasienstock. Der Waldbesitzer reagiert sofort auf meinen fragenden Blick. Er sei an gleicher Stelle mit einem Förster gestanden und habe sich mit ihm beraten. „Der Förster hat gesagt, Ludwig, wenn Du die Eiche haben willst, dann musst Du die Douglasie fällen.“

Das war überzeugend. Es komme immer darauf an, wie man etwas rüberbringe, so Schlittmeier. Würde man den Waldbesitzern immer vorhalten, sie hätten alles falsch gemacht, erzeuge man Widerstand. Besser sei es, Möglichkeiten aufzuzeigen und dem Eigentümer einen Entscheidungsspielraum zu geben.

Wir sind an einer Freifläche angekommen, auf sich der relativ dicht kniehohe Fichten mit der Brombeere um die Vorherrschaft streiten. Dazwischen leuchtet braun das Dürrlaub einiger Eichen. Die Fichten sind natürlich angekommen, die Eichen stammen aus einer Saat. „Vor ein paar Jahren ist ein Schwammerlsucher im Herbst an mir vorbeigefahren, ich stand gerade an einer Eiche“, erzählt Schlittmeier, „und unter seinen Reifen hat es ständig geknackt.“ Den ganzen Herbst wurden Eicheln und Bucheckern mit dem Laub zusammengekehrt.

Drei Kubikmeter Material waren es schließlich, das anschließend auf rund fünf Hektar Waldfläche verteilt wurde. Allerdings war das Ganze doch sehr aufwendig. Heuer hat es Schlittmeier deshalb mit zwei Netzen mit jeweils vier auf sechs Meter probiert. 100 kg Eicheln kamen da zusammen – 1 kg entspricht ungefähr 200 Stück.

Der Eichelhäher hilft bei der Saat

Unsere nächste Station ist ein Baum, an dem ein flacher Trog angebracht ist. Darin liegen Eicheln – die Eichelsaatstation. Die Häher bedienen sich fleißig daran. Auf rund 2 kg alle drei Wochen taxiert Schlittmeier den Bedarf. Es herrscht übrigens auch Jagdverbot auf Eichelhäher.

Auf die Hähersaat will sich der Land- und Forstwirt aber dann nicht ganz verlassen. Er hält ein circa 1,2 m langes Rohr in der Hand, an dem vorne ein knapp 10 cm langes Flacheisen angebracht ist. Das Flacheisen stößt er in den Boden und dreht dann das Rohr hin und her, sodass ein kleines Loch entsteht. Anschließend lässt er eine Eichel durch das Rohr rutschen, die zwangsläufig sicher in dem Loch landet. Ein wenig festtreten und fertig. 300 bis 600 Eicheln lassen sich so pro Stunde säen, berichtet Schlitmeier.

Wir stehen wieder an einer kniehohen Verjüngung mit Fichte, Tanne, einigen anderen Baumarten und Brombeere. „Der Freischneider kommt bei uns überhaupt nicht in den Wald“, erklärt Schlittmeier. Mit einer Heppe oder einem kleinen Sappie werden nur die Ranken von den Wipfeln der Naturverjüngung gezogen, damit die genug Licht und Luft hat. Das ganze erfolgt, bevor man die Pflanzen suchen muss, weil sie überwuchert sind. Die Aktion wird zwei bis dreimal jährlich wiederholt.

Mischbaumarten gezielt fördern

Mit das Wichtigste bei dieser Kulturpflege ist, die Buchen, Eichen und sonstigen Mischbaumarten zu finden und ihnen Licht zu verschaffen. Diese Art der Pflege hat zwei weitere Vorteile: Der Boden ist ganzflächig bedeckt und trocknet nicht so sehr aus. Und die Rehe mögen das dichte Zeug mit den Brombeeren auch nicht.

Mäßig aber regelmäßig, diesen Grundsatz setzt Schlittmeier auch in der Jungwuchspflege um. Regelmäßig heißt dabei jedes Jahr. Im Vordergrund stehen dabei die Eiche, die Buche und die Tanne. Sie werden immer so freigestellt, dass sie von den zahlreichen Fichten nicht unterdrückt werden. Da muss auch schon mal eine größere Fichte einer kleineren Tanne oder Eiche weichen – Stichwort Stufigkeit. Und auch bei Fichten wird immer auf genügend Standraum geachtet – Stichwort Stabilität und Wasserversorgung.

Wo bereits verwertbares Holz anfällt, kommt ein Anbauharvester am Schlepper zum Einsatz. In den jüngeren Beständen bleibt das Material einfach im Bestand liegen. Auch da hat Schlittmeier eine interessante Beobachtung gemacht: „Letzten Sommer habe ich nach sechs Wochen ohne Regen ein im Winter gefälltes Stämmchen beiseite gezogen und der Handschuh war nass.“

Die Ernte soll besser planbar sein

All das, was Schlittmeier in seinem Wald treibt, hat ganz klar ein Ziel: wertvolles Holz erzeugen und damit beim Verkauf auch Gewinn machen sowie den Einschlag sicher planen zu können und ihn nicht nach Sturm, Schneedruck oder Käfer ausrichten zu müssen. Es geht auch darum, den Aufwand dafür so gering wie möglich zu halten. Nach den bisherigen Schilderungen mag dies widersprüchlich erscheinen, aber ein Zwischenziel ist schon erreicht: Die anfallenden Arbeiten sind nicht besonders anstrengend.

Wir sind wieder auf dem Rückweg zum Auto. Rehfährten kreuzen die Rückegasse. Da es den ganzen Vormittag geschneit hat, müssen sie frisch sein. Und links am Rand des Bestandes steht eine kleine Tanne mit einem geschützten Terminaltrieb. Also ein Wald-Wild-Problem? „Ich mag die Rehe“, sagt der Waldbauer. Im Frühjahr werden deshalb alle Wiesen vor der Mahd nach Rehkitzen abgesucht.

Die Jagd erfolgt in Eigenbewirtschaftung

Trotzdem muss der Wald sich verjüngen können. Als Jagdvorsteher hat Schlittmeier gehandelt und die Jagd in eine Eigenbewirtschaftung überführt. „Wir erlegen derzeit nicht mehr Rehe als auch schon vorher auf den Streckenlisten standen“, berichtet er. Dennoch ist der Verbiss zurückgegangen und die Wildbretgewichte sind deutlich angestiegen, die Kitze wiegen im Herbst eher 12 als 10 kg und auch schon einmal bis zu 16 kg. Jagd heißt für Schlittmeier auch Lebensraumerweiterung für die einzelne Rehfamilie.

Dass junge Bäume aus der Baumschule besser schmecken als die aus Naturverjüngung und dass seltene oder neue Baumarten besonders attraktiv sind, das ist Schlittmeier bewusst. Und deshalb werden Pflanzungen bei Bedarf geschützt – mit Verbissschutzmitteln und auch mit Schafwolle gibt es gute Erfahrungen. Und wenn eine kleine Tanne an exponierter Stelle steht, dort aber unbedingt erhalten werden soll, kriegt sie halt einen Terminaltriebschutz.

Die Rehe sollen als Mitbewohner im Wald ihr Lebensrecht genauso bekommen wie die übrigen Arten. Überall stehen einzelne Biotopbäume. Wenn der Harvester im Einsatz ist, köpft er abgestorbene Bäume auf fünf bis sechs Meter und lässt den Erdstamm stehen. Und wenn ein abgestorbener Baum umstürzt, dann bleibt er liegen. Mit Stolz deutet Schlittmeier auf ein Loch in einer qualitativ schlechten Buche: Da habe er kürzlich gesehen, wie der Schwarzspecht ausgeflogen ist.

Mir kommt die Situation von vorhin wieder in den Sinn. Wir standen in der Nähe einer Tanne, an der eine Nisthilfe für Eulen hängt. Schlittmeier hatte erzählt, dass er die vor einigen Jahren dem Jagdvorstand und den Jägern gezeigt hatte. Und just als die gelästert hätten, dass das nichts bringe, sei eine Eule aus der Nisthilfe abgestrichen.

Zum Abschluss noch eine Zahl: 300 Festmeter Holz hat der Betrieb im letzten Jahr geerntet, und zwar aus regulärer Nutzung. Ich glaube, Schlittmeier wäre verwundert, wenn jemand sagen würde, dass er seinen Wald nicht bewirtschaftet.