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Familie Weidinger vor ihrem Hofbaum
Familie Weidinger auf ihrem Lieblingsplatz: (v. l.) Die älteste Tochter Katharina, Freund Matthias von Tochter Antonia, Papa Gerhard mit Mama Ingrid und Sohn Josef.

Wie ein Landwirt zum Hofbaum kam: Rosskastanie mit VW-Käfer gerettet

20. August 2023
Familie Weidinger ist stolz auf ihre prächtige Kastanie. Seit 50 Jahren ziert sie als Hofbaum ihren Bauernhof in der Oberpfalz. Wir erzählen die witzig, kuriose Geschichte, wie ein Landwirt den Baum vor 50 Jahren per VW-Käfer auf den Hof geholt hat und mit welchen Tricks er so schön wachsen konnte.

Mit einem Käfer vom Schutthaufen gerettet – und heute geliebter Hofbaum. Gäbe es einen Wettbewerb, würde die knapp 50 Jahre alte Rosskastanie von Familie Weidinger den Preis für das aufregendste Baumleben bekommen. Schon wenn man in den Hof des ehemaligen Bauernhofes in Waldhausen (Lks. Neumarkt in der Oberpfalz) hinein fährt, muss man unter dessen Blätterdach hindurch. Dort kann man es sich auf der Bank darunter gemütlich machen und dem Plätschern des Baches dahinter lauschen. Kein Wunder, dass das schattige Plätzchen auch der Lieblingsplatz der Familie ist. Gerade an lauen Sommerabenden lassen Mama Ingrid und Papa Gerhard mit ihren Kindern Katharina, Josef und Antonia, mit ihrem Partner Matthias, gerne den Tag ausklingen. „Es ist angenehm. Da ist es immer kühl und es weht ein Lüftchen“, schwärmt die Familie.

Baumrettung mit dem VW-Käfer vor 50 Jahren

Die Liebe für Bäume liegt den Weidingers im Blut. „Mein Vater hatte schon eine Vorliebe für Bäume“, erzählt Gerhard und berichtet von der spontanen Baumrettungsaktion: Durch Zufall hat sein Vater vor etwa fünfzig Jahren im fünf Kilometer entfernten Ort von einem kleinen Kastanienbaum erfahren. Dieser ist wild gewachsen, auf einem Schutthaufen am Waldrand. „Wie das damals so war, haben die Menschen ihren Schutt und Gartenabfälle da hingefahren“, erzählt er heute.

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Ein Käfer als Transporter: Mit diesem VW haben der 12-jährige Gerhard und sein Vater vor 50 Jahren den jetzigen Hofbaum von einem Schutthaufen gerettet.
Ein Käfer als Transporter: Mit diesem VW haben der 12-jährige Gerhard und sein Vater vor 50 Jahren den jetzigen Hofbaum von einem Schutthaufen gerettet.

Offensichtlich waren bei den Abfällen auch Kastanien mit dabei und Gerhards Vater hat sofort beschlossen „Den holen wir!“. Also sind der 12-jährige Gerhard und er mit dem VW Käfer zum Schutthaufen gefahren, haben die Kastanie mit Mühe unter Brennnesseln ausgegraben und sie im Käfer nach Hause geholt. „Samt den Wurzeln bin ich mit dem knapp 1,5 Meter großen Baum auf dem Beifahrersitz gesessen. Das weiß ich noch wie heute“, erzählt Gerhard.

Landwirtschaft in der Oberpfalz als Heimat für den neuen Hofbaum

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Gerhard und Ingrid Weidinge
Die Liebe zum Baum vorgelebt: Gerhard und Ingrid Weidinger sind stolz auf ihre Kinder und den prächtigen Hofbaum.

Ganz unbeschadet hat der Baum die Fahrt aber nicht überstanden, teilweise ist er abgebrochen. Doch die zwei Männer ließen sich davon nicht stoppen. Sie suchten ihm seinen schönen Platz neben dem Bachlauf am Hofeingang aus. Doch da wartete das nächste Problem: Der Boden war so steinig, dass sie beinahe kein ausreichend großes Loch graben konnten. Also trugen sie zusätzlich noch Erde zusammen. Dass der Baum so gut angewachsen ist, sei einem Polen namens Boleslaw zu verdanken. 1941 kam er als Kriegsgefangener auf den Hof, entschied sich nach Kriegsende aber bei der Familie zu bleiben und wurde immer mehr auch als Familienmitglied aufgenommen. „Boleslaw gehörte dazu und ist auch in unserem Familiengrab beigesetzt worden“, erzählt Gerhard. Er habe gerade am Anfang die junge Kastanie kräftig gegossen, damit es ihr an nichts fehlte.

Familie Weidinger führte damals noch eine Landwirtschaft mit Milchkühen, Bullenmast, Muttersauen und Schweinemast sowie Ackerbau und einer kleinen Mühle. „Mit den Relationen von heute aber nicht zu vergleichen“, sagt Gerhard. In den 1980er Jahren haben seine Eltern die Viehhaltung eingestellt. Den Ackerbau betrieb Gerhard als Hofnachfolger noch bis 2009, seitdem habe er bis auf fünf Hektar alles verpachtet. Heute leben auf dem Hof noch Gänse, Hühner und Esel. Zudem bewirtschaftet die Familie etwa zehn Hektar Wald, auf dem Hof gibt es einen Fischteich und seine Frau Ingrid pflegt einen prachtvollen Bauerngarten, den die Familie zur Selbstversorgung nutzt.

Gesunder Hofbaum begeistert Familie und Kindergartenkinder

In Zukunft soll aber wieder mehr Landwirtschaft in die Familie zurückkehren. Sohn Josef will die eigenen Felder wieder selbst bewirtschaften. Gerade hat er sein Studium als Forstingenieur abgeschlossen und will demnächst noch eine Ausbildung zum Landwirt dran hängen. So könne er künftig den Ackerbaubetrieb im Nebenerwerb ausbauen und übernehmen. Im Hinblick auf den Hofbaum schwärmt auch er als Förster: „Der Baum ist einwandfrei!“

Wie er stolz weiter erzählt, habe die Kastanie auch keine Probleme mit der Miniermotte. Denn wenn der Baum im Herbst seine Blätter verliert, werden diese sofort zusammengetragen und entfernt. „Und die Kastanien haben wir als Kinder schon immer gesammelt“, erzählt seine Schwester Antonia. Auch heute ist sie noch angetan „von den richtig großen Kastanien, die wie ein Handschmeichler sind“, sagt sie. Sie selbst spielt jetzt nicht mehr damit, aber sie nimmt sie in ihre Arbeit in den Kindergarten nach Regensburg mit. „In der Stadt gibt es so gut wie keine Kastanien, deswegen kennen die Kinder die leider oft gar nicht mehr“, erzählt sie. Wannenweise nimmt sie die Naturschätze mit in ihre Gruppe und lässt die Kinder darin herumsteigen und spielen.

Geheimtipp Kalk: Hofbaum wächst an widrigem Standort

Auf die Frage, wie der Baum all die Jahre so prächtig gewachsen ist, hat Gerhard eine Theorie: Damals, als er selbst noch die Ackerbauschule besuchte, habe sein Lehrer in Bodenkunde gelehrt, wie förderlich Kalk für das Wachstum von Bäumen sei. Das sei auch der Kastanie der Weidingers zugutegekommen. Früher wurde Kalk im Stall zu Hygienezwecken genutzt und nicht selten seien Reste davon am Bachrand zur Kastanie geschüttet worden. Heute weiß er: „Das war ein hochkarätiger Dünger“. In Verbindung mit dem Standort direkt am Wasser hat der Baum trotz des kargen Standorts reichlich Lebenskraft gewonnen.

Pflege des Hofbaums: Die ganz Familie hilft seit jeher zusammen

Als Arbeit sieht die Familie den Baum aber trotz Laub und regelmäßigen Schnitt nicht. Vor allem Mama Ingrid wusste schon früh, wie sie die Kinder zum Laubsammeln begeistern konnte. Wie ihre Tochter Antonia aus ihren Kindheitserinnerungen erzählt, habe ihre Mama immer einen Laubsammelwettbewerb veranstaltet. „Wer das meiste Laub gesammelt hat, hat die meiste Schokolade bekommen“, erzählt sie.

Im Laufe der Jahre hat der Baum schon einiges mitmachen müssen. Sogar Opfer eines Esoterikers wurde Weidingers Hofbaum schon. Vater Gerhard hat sich vor Jahren einmal von einem „Wünschelruten-Scharlatan“, wie er ihn selbst nennt, „ködern“ lassen. Laut dem Berater stehe die Kastanie auf einer großen Wasserader, das sehe man auch am Stamm, weil dieser so stark eingedreht gewachsen sei. Gerhard glaubte ihm das Jahre lang, bis sein Sohn Josef im Forststudium die Baumarten genauer kennen lernte: „Unsere Kastanie ist eine Rosskastanie, da kommt ein eingedrehter Stamm öfter vor, das ist ganz normal“, erklärt Josef und schmunzelt.

Ein Herz für einen Baum: Der Hofbaum bleibt für die nachfolgenden Generationen

Zuletzt musste Familie Weidinger einen Abrissunternehmer davon überzeugen, dass die Kastanie stehenbleibt. Denn der danebenliegende, ehemalige Stall soll abgerissen und ein neues Gebäude an dessen Stelle errichtet werden. „Der Baum muss aber bleiben“, sagt Mama Ingrid bestimmt und berichtet zusammen mit Tochter Antonia, dass der Abrissunternehmer erst vor Ort verstanden habe, was an dem Baum so besonders sein soll: Auf der Bank unter der Kastanie hat er letztlich geschworen, den Baum zu beschützen und während des Umbaus auf ihn achtzugeben, auch wenn es nicht einfach werden würde.

Nicht nur auf dem elterlichen Hof der Weidingers soll die Kastanie bleiben. Antonia vermehrt immer wieder heimlich den Baum und pflanzt hier und da ein paar Ableger an. Wenn sie zu groß werden, werden die Baumsetzlinge von Papa Gerhard – ebenso heimlich – umgesetzt. Trotzdem konnte sie sich schon jetzt einen eigenen kleinen Baum anziehen: „Wenn ich selber mal ein Haus habe, möchte ich auch so einen schönen Hofbaum haben“, plant sie. In der Nähe des Elternhauses hat sie mit ihrem Partner Matthias auch schon ein passendes Grundstück gefunden, wo bereits eine kleine Kastanie auf das künftige Leben dort wartet.