Unruheständler auch in der Waldpädagogik?
Unter dem Alter versteht man meist den mit dem Tod endenden Lebensabschnitt rund um die mittlere Lebenserwartung des Menschen. In der westlichen Welt ist dieser Begriff eng mit dem Austritt aus einem definierten Erwerbsleben und folgendem Beginn des sogenannten Ruhestands verknüpft. Ältere und dann meist ruheständlerische Menschen pflegt man heute als Senioren (von lat. senior = älter) zu bezeichnen. Dieses Wort ist wohl eine „68-er-Schöpfung“ zur generellen Bezeichnung von Leuten höheren Lebensalters, und meint sehr oft das Rentenalter. Es sollte den in unserer Kultur leider weitgehend negativ besetzten Begriff der Alten politisch korrekt ersetzen, verschleiern und auf diese Weise aufwerten. Ziel war auch, damit dem offiziellen, stark durch Konsumorientierung und „schönen Schein“ geprägten Zeitgeist zu entsprechen. Das Ergebnis war mager wie immer, wenn man glaubt, durch beschönigendes fremdwort-trächtiges Reden Probleme lösen zu können, ohne etwas an der Ursache (also die vergleichsweise geringe Wertschätzung älterer Menschen in unserer Gesellschaft) zu ändern. Umgekehrt gilt nunmehr sogar: Wenn Jugendliche einander „eh Alter“ zurufen, meinen sie ja wohl positiv so etwas wie „Hallo Kumpel tolle Nachricht!“.
„Junge Alte“
Meinungsumfragen haben ergeben: zahlreiche Ältere fühlen sich sehr viel jünger, als sie nach Jahren wirklich sind. Für sie ist das Altern keineswegs mit einem „Nachlassen“ oder gar „Niedergang“ verbunden. In ihrem sowie im Interesse des „Produktmarketing“ spricht deshalb man statt vom Alter heute in der öffentlichen Diskussion von einem dritten („junge Alte“) und vierten Lebensalter („Greise“), die vor allem durch Gesundheit & Rüstigkeit der Leute voreinander abgegrenzt werden. „Junge Alte“ sind nicht selten wohlhabend, geben sich jugendlich und können einen regen, mobilen, modisch und freizeitorientierten Lebensstil führen; man erlebt sie immer öfter bei Aktivitäten, die früher nur jüngeren Erwachsenen zugetraut wurden. Entgegen landläufigen Vorstellungen gehen deshalb Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden nach dem Übergang in die nachberufliche Phase bei ihnen keineswegs zurück. Im Gegenteil: ein Zuwachs an „Seelenruhe“ steht nun einer Abnahme von Hektik und Nervosität gegenüber.
als „Unruheständler“
Gleichzeitig suchen viele ältere Menschen nach sinnvollen und erfüllenden Aufgaben auch außerhalb des Freizeitbereichs, um sich mit dem ganzen Schatz ihrer kulturellen und beruflichen Erfahrung nützlich zu machen, ihr Wissen weiter zu geben … Sie wollen auch in dieser Hinsicht nicht „aufs Altenteil“ ihre Lebensweisheit sagt ihnen: das größte Glück ist stets, andere glücklich zu machen. Ich erlebe das ganz persönlich immer wieder am Beispiel meiner Mutter, der 86-jährigen Betreiberin von www.oma-im-netz.de.
„Ein Jahr als Rentner“ eine Satire?
Die aktive Teilhabe am werteschaffenden gesellschaftlichen Leben wird den Älteren derzeit nicht immer leicht gemacht, und sie selbst machen es sich damit auch nicht leicht. Das Thema beschäftigt viele auch im Internet. Im Rahmen der täglichen Netzpost-Flut ereichte mich dieser Tage beispielsweise die Spottschrift „Ein Jahr als Rentner“, in der humorig das verzweifelte Bemühen eines Ruheständlers geschildert wird, sein „Abstellgleis“ zu verlassen und eine Aufgabe zu finden, die ihm Würde und vor allem den Stolz auf produktiv und sinnvoll Geleistetes wiedergibt.
Warum landen Ältere oft im gesellschaftlichen Abseits?
Woher rührt eigentlich die erkennbar unzureichende Hochachtung alter Menschen in der westlichen Welt? Der Grund dürfte in der ökonomisierten, vor allem in den Kategorien Erzeuger & Verbraucher funktionierenden Moderne zu suchen sein, und da liegen die Älteren gleich doppelt schief:
als Produzenten gelten sie als zu teuer, unflexibel-stur, langsam, aufmüpfig (Motto: „Hütet Euch vor den wütenden Ruheständlern sie haben nichts mehr zu verlieren“);
Mehr „Achtung vor dem Alter“ ist unverzichtbar
Hier tut Umdenken Not wieder etwas mehr Wertschätzung als Mensch (auch) für Ältere! Die Weisheit eines erfüllten Lebens etwa ist ein derzeit völlig unterschätztes gesellschaftliches Potenzial, das es nicht nur im Berufsleben zu reaktivieren gilt.
Aufgrund der demografischen Entwicklung und weiter wachsenden Lebenserwartung in der westlichen Welt steigt der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung stetig; schon in naher Zukunft zudem damit zu rechnen, dass Unternehmen vermehrt auf Rat und Tat von ehemaligen Mitarbeitern angewiesen sein werden, die sich eigentlich in Rente befinden.
schon weil der Nachwuchs in Menge und Güte schwächelt
Denn die rapide weniger werdenden Jungen können es wohl nicht allein schaffen. Viele von ihnen sind noch dazu vom grassierenden Erziehungs- und Bildungsnotstand gebeutelt und wurden weder mit „Wurzeln“ noch „Flügeln“ ausgestattet, die Goethe einst lyrisch für Kinder forderte, damit die erfolgreich ins Leben starten können. Hier steht damit eine „Generation Doof“ und das drohende Dilemma noch verschärfend zu befürchten: „Jede neue Generation gleicht einem Einfall kleiner Barbaren, wenn ihre Eltern es versäumen, sie durch Erziehung zu zähmen“ (Le Play).
Generationen-Kooperation ist wieder gefragt
Wir benötigen darüber hinaus aber generell die Wiedergeburt der Generationen-Kooperation und des „Denkens in Generationen“ (das ist übrigens eine schöne Definition für den Begriff Nachhaltigkeit). Denn: Hand und Hand mit der aktuellen „Erosion intakter Familien“ geht derzeit auch der Verlust des Generationengefühls einher, so dass der einzelne nicht nur wichtige Orientierungen und Haltgebungen in der Massen-Gesellschaft, sondern auch diejenige in der Zeitenfolge der Toten, Lebenden und Nachkommen verliert. Ein kluges Wort des englischen Philosophen Edmund Burke trifft hier wohl auf viele Zeitgenossen bereits zu: „Leute, die nicht auf ihre Altvorderen zurückblicken, werden auch keine Gedanken an ihre Nachkommen verschwenden.„
Das Erfahrungswissen um das „Woher kommen wir? wird in unserer unruhig-schnell-schrillen und merkwürdig geschichtslosen Zeit immer nötiger gebraucht, will man nicht pausenlos alte Fehler wiederholen und das „Wohin gehen wir?“ unbeantwortet lassen.
Ein brandenburgischer „Unruheständler-Ansatz“ für die Waldpädagogik
Was aber bedeutet das alles für die Waldpädagogik? Zunächst einmal: Ältere sollten für uns aus genannten Gründen grundsätzlich weniger „Kunden“ als „Partner“ sein. Ich begrüße in diesem Zusammenhang besonders, dass sich die kürzliche SDW-Waldpädagogiktagung in Lübeck im Schwerpunkt mit „Erwachsenenbildung im Wald“ und dabei auch mit den Senioren befasste, und freue mich schon auf die Ergebnisse dieser Beratungen und Diskussionen.
Als ob wir Märker die Problematik damals schon geahnt hätten: Bereits in der Waldpädagogik-Dienstanweisung der brandenburgischen Landesforstverwaltung vom 1. Mai 1995 heißt es in der Zielgruppen-Anlage: „Mit dem Programm Walderleben für Senioren wird versucht, jung und alt im Wald zusammenzuführen und durch die Nutzung der Lebensweisheit Älterer zur Verständigung der Generationen beizutragen.“ Neben zahlreichen generationen-übergreifenden Ansätzen und Angeboten für die Waldbesucher, auf die einzugehen einem anderen Beitrag vorbehalten sein muss, gab es bei uns seither immer auch gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Waldpädagogik-Referenten der Rubrik „forstliche Unruheständler“. Aber auch Waldfreunde der SDW, berentete Lehrer, Naturwissenschaftler u.a. machten hier mit. Angeregt durch das „Generationennetzwerk Umwelt“ versuchten wir (bisher leider vergeblich) seit 2002, solche Menschen sogar in einem analogen waldbezogenen Beziehungsgefüge miteinander zu verknüpfen und ihnen Unterstützung zuteil werden zu lassen. Dieses Anliegen wurde 2008 in der Bachelorarbeit „Generationennetzwerk Wald Einbindung von Älteren mit waldspezifischen Kenntnissen in die Umweltbildung in Brandenburg“ als „Analyse von Faktoren für einen Netzwerkaufbau anhand von qualitativen Leitfadeninterviews“ näher untersucht und beschrieben.
Was tun?
Können wir Forstleute auch in der Kooperation mit „Unruheständlern“ zeigen, was es heißt, in Generationen zu leben und leben zu lassen? Sollten das auch und vor allem unsere mit solider „Waldbodenhaftung“ ausgestatteten Kollegen sein? Wie macht man es richtig? Einerseits nimmt die Zahl der Forstleute von Jahr zu Jahr ab, werden die Reviere immer größer, können wir den riesigen Bedarf an durch „Waldprofis“ fachliche betreutes „Walderleben“ mittels Waldpädagogik immer weniger durch Leute mit „forstlichem Stallgeruch“ decken; der kooperative Einsatz forstlicher „Unruheständler“ wäre ein Ausweg. Andererseits: schießen wir uns damit nicht ein Eigentor und geben den Verantwortlichen ein völlig falsches Signal nach dem Motto: Es geht doch!? Schließlich überaltert unser Berufsstand derzeit in hohem Maße, und die Einstellung junger Leute haben wir nötig wie die Blumen das Licht. Denn: Wie wollen wir die Menschen wohl „Nachhaltigkeit lehren“, wenn wir sie nicht einmal in der eigenen „Forstfamilie“ selbst vorleben können
Für eine Diskussion wäre ich dankbar.