Das Gefährt war der Hingucker auf der Messe Interforst im vergangenen Sommer. Die „Kommissioniermaschine“, wie das Fahrzeug offiziell heißt, hat die Firma Doll Fahrzeugbau für das unterfränkische Forstunternehmen Reith auf die Räder gestellt. Mittlerweile ist das Gerät ein halbes Jahr im Einsatz – ein guter Zeitpunkt für eine erste Bilanz.
Die meistgestellte Frage ist natürlich: „Rechnet sich diese aufwändige Fahrzeugkonstruktion?“ Schließlich muss ein potenzieller Interessent alleine für die Umrüstung des Lkw auf die dreh- und liftbare Glaskabine einen saftigen Aufpreis von 150 000 € einkalkulieren … Die kurze Antwort darauf lautet denn auch „Nein, für sich gesehen produziert ein solches Auto mehr Kosten als es verdienen kann.“
Kommissionieren
Damit wäre für einen reinen Holzspediteur mit einer Handvoll Fahrzeuge die Diskussion bereits beendet. Jetzt handelt es sich aber beim Forstunternehmen Reith um einen sehr vielseitigen Betrieb mit eigenen Holzerntekapazitäten und einem großen Handelsvolumen. Die Region, in der sich diese Aktivitäten abspielen, zeichnet sich durch eine sehr kleinteilige Forstwirtschaft aus. Kleine Flurstück- und Besitzgrößen im nördlichen Unterfranken werden ergänzt durch eine große Baumarten- und Sortimentsvielfalt. Das führt dazu, dass auch in größeren Kommunalwäldern eine Poltergröße von 5 Fm für einzelne Sortimente überhaupt keine Seltenheit darstellt. Genau für diese Rahmenbedingungen ist die Kommissioniermaschine gedacht. Als „Lumpensammler“ kleine Holzmengen vorkonzentrieren – damit werden zunächst keine großen Einnahmen erwirtschaftet. Gleichzeitig steigt aber für die gesamte übrige Fahrzeugflotte die Auslastung.
Verladen
Mit dem starken und langen Kran Epsilon Q 170 L bietet sich das Fahrzeug natürlich auch als Lademaschine an. Dazu kommt sehr häufig die Frage, warum der Kran auf dem Trailer montiert ist, anstatt direkt an der Zugmaschine. Dafür gibt es jedoch ein paar sehr gute Argumente: Unter den Sortimenten, die hier anfallen, finden sich sehr oft kurze Längen von 2,5 m oder 3 m. Diese lassen sich auf einem langen Trailer jedoch nur mit einer Verschiebeeinrichtung für den hintersten Stapel laden. Die Technik in jeden Wechseltrailer einzubauen, wäre jedoch viel zu teuer.
Oberste Prämisse bei der Konzeption des Fahrzeugs war, den Ladevorgang so angenehm und zeitsparend wie möglich zu machen. Dazu gehört, dass der Fahrer den Kran direkt aus dem Führerhaus bedient. Bis 12 km/h lässt sich das Auto sogar mit angehobener und seitlich verdrehter Kabine verfahren, um ein schnelles Vorziehen zum nächsten Polter zu ermöglichen. Zur Zeitersparnis gehört auch, den Kran dabei einfach auf der Ladung abzulegen. Ist dieser vorne auf dem Auto montiert, klappt das zumindest bei Kurvenfahrt überhaupt nicht mehr, weil er ja seitlich ausschwenken würde. Direkt am Fahrzeug bräuchte man also einen Z-Kran, der jeweils erst umständlich zusammengelegt werden muss. Neben dem Zeitfaktor sieht Juniorchef Julian Reith einen weiteren Nachteil in Kombination mit dieser Maschine: Konstruktionsbedingt sitzt beim Z-Kran der Wipparmzylinder unter dem Ausleger. Jetzt ist hier jedoch die Sichtachse des Bedieners deutlich verschoben zum Kran, weil er ja gut 2 m weiter weg sitzt, anstatt wie üblich auf dem Hochsitz direkt dahinter. So kann es leichter mal passieren, dass der Kran beim Überheben eine der Rungen touchiert. Wenn sich just dort der Hydraulikzylinder befindet, sind die Kosten gleich beträchtlich.
Eine andere Sorge, die viele Kollegen beim Anblick des Krans auf dem Schwanenhals äußerten, betrifft die Stabilität und Dauerhaltbarkeit. Wird diese Bauweise den Torsionskräften beim Laden schwerer Stämme auf Dauer standhalten? Reith vertraute da auf den Aufbaupartner Doll. Für unsere französischen Nachbarn haben die Oppenauer solche Autos nämlich schon öfter gebaut. Dort brechen die Kräne auch nicht gleich reihenweise ab, wenn sich der Rahmen unter Last auch sichtbar verwindet.
Sortieren
Ein Teil des Verdienstes im Holzhandel liegt im Sortiergewinn. Das heißt bei der Firma Reith, dass es nicht immer damit getan ist, ein Polter nur aufzunehmen und von A nach B zu fahren. Bisweilen werden auch noch höherwertige Sortimente herausgesucht. Dabei sitzt der Maschinenführer mit bestem Überblick in seiner klimatisierten Kabine und profitiert im Dunkeln von einer hervorragenden Ausleuchtung mit diversen LED-Scheinwerfern. Nur so lässt sich eine entsprechende Qualitätsentscheidung sicher treffen. Das ist bisher für die Reiths auch noch ein wesentliches Argument gegen den Einsatz eines Kamerasystems mit Datenbrille. Da könnte der Fahrer natürlich auch in seiner Kabine sitzen bleiben, der finanzielle Einsatz wäre zugleich deutlich geringer als für das Glashaus mit seiner komplizierten Kinematik. Aber speziell die Projektionstechnik der VR-Brillen ermöglicht bisher noch nicht annähernd die Sichtverhältnisse, die zur Beurteilung womöglich kleiner Holzfehler nötig wären.
Ladungssicherung
Ein beliebter Kommentar der Netzgemeinde ist auch immer wieder: „Spätestens zum Gurten muss der Fahrer aber doch trotzdem aussteigen, oder soll das auch noch automatisch gehen?“
Abgesehen davon, dass es tatsächlich seit vielen Jahren schon ein automatisches Ladungssicherungssystem von Exte gibt – das Com 90: Unter den geschilderten Einsatzbedingungen ist es schon ein gewisser Unterschied, ob ein Fahrer vier- bis fünfmal aussteigen muss und auf den Kran klettern, oder nur einmal zum Verzurren. Die Firma Reith hat sich hier für eine sehr konventionelle Variante entschieden. Es sind keine automatischen Spannsysteme („Luftmänner“) an Bord. Die einzige Besonderheit: Die Schlösser der Spanngurte sind an jedem einzelnen Schemel fest angeschraubt. Das spart einerseits wieder ein bisschen Zeit und zum anderen hält die Mechanik nach der Erfahrung von Julian Reith so eher länger, als wenn die Ratschen nach einer Regenfahrt zusammen mit den Gurten in einer feuchten Kiste verstaut werden und dort korrodieren.
Fahren
Wie fährt sich der skurrile Apparat? Der „Freisitz“ in der gläsernen Kabine erzeugt natürlich erst einmal ein ungewohntes Fahrerlebnis. Auf den ersten Kilometern fühlt man sich fast ein wenig ungeschützt, auch die Position in der Mitte des Fahrzeugs sorgt zunächst für leichte Verwirrung. Im Wald zieht man unwillkürlich den Kopf ein, weil die Äste über dem Weg plötzlich so tief hängen. Klarer Fall: Für die Langstrecke, womöglich mit Übernachtung, ist das nicht geeignet. Eine Kühlbox findet sich unter dem klppbaren Notsitz für den Beifahrer – das war’s. Das kleine Lenkrad steht frei, drumherum gibt es nur die nötigsten Bedienelemente. Sogar der Wählschalter für das Automatikgetriebe muss schon ins Dach wandern. Die Joysticks für die Kranbedienung bleiben immer an den Armlehnen, sind aber bei der Straßenfahrt ohne Funktion. Am ehesten fühlen sich mit solchen Armaturen die Fahrer von Forstmaschinen, Großtraktoren oder Mähdreschern vertraut. In der Kombination mit einem Sattelzug hinten dran muss der Fahrer damit leben können, dass er auf der Straße eine gewisse Aufmerksamkeit erregt.
Die Umrüstung des MAN TGS 33.500 6×4 wurde von der Firma Toni Maurer vorgenommen, die mit den Jenz-Cobra-Hacktrucks schon Erfahrungen gesammelt hat, was solche Fahrzeugkombinationen angeht. Auf Anraten der Spezialisten im Allgäu hat Reith ein Schwerlast-Fahrgestell, ausgelegt für 32 t, ausgewählt. Das wäre gar nicht notwendig gewesen, wie sich im Nachhinein herausstellte. Selbst wenn das Fahrzeug bei Sammelfahrten abseits öffentlicher Straßen einmal deutlich überladen wird, bleibt doch das meiste Gewicht auf dem Auflieger Doll Logo 12 K. Ein 26-t-Fahrgestell dagegen würde mit seinen weicheren Federn gerade bei Leerfahrten komfortabler rollen. So ist man schon froh, dass der Fahrersitz luftgefedert ist.
Und im Gelände? Trotz der scheinbaren Länge des Gespannes lassen sich gerade Spitzkehren oftmals sogar besser durchfahren als mit einem Gliederzug, sagt Julian Reith. Zum einen hat das Zugfahrzeug mit 3,6 m einen relativ kurzen Radstand, zum Anderen sitzt auch das Achsaggregat des Sattels weit vorne. Im Zweifel lässt sich der Kurvenradius durch ein kurzes Rückwärts-Unterschieben noch verringern.
Nachahmenswert?
Wird dieses Fahrzeugkonzept nun der nächste große Trend im Holztransport? Vermutlich nicht, es braucht schon eine relativ spezifische Konstellation, damit der „rasende Forwarder“ seine Stärken ausspielen kann. Für Julian Reith und seinen Vater Dietmar scheint das Experiment jedoch geglückt, soweit man das nach einem halben Jahr schon sagen kann. Die Technik macht keine besonderen Probleme und die Gesamtauslastung der Lkw-Flotte konnte gesteigert werden. Es haben auch schon ein paar andere größere Unternehmen Interesse angemeldet. Eine überraschende Schwierigkeit stellt die Personalfrage dar: Bisher hat sich noch kein Fahrer für die Maschine gefunden. Die Kombination aus exponiertem Arbeitsplatz „im Glashaus“ und viel anspruchsvoller Kranarbeit scheuen scheinbar die traditionellen Holzkutscher. Insofern sucht die Firma Reith mittlerweile eher einen versierten Forstmaschinenführer, der genug hat von der dauernden Waldeinsamkeit und für den die Joystick-Steuerung keine Umgewöhnung bedeutet.
Würden Sie beim nächsten Mal etwas anders machen? Anstatt des Schwerlastfahrgestells käme wohl ein leichteres Grundfahrzeug zum Einsatz. Damit ließe sich das Leergewicht von 21,4 t nebenbei um fast eine Tonne senken. Zur Verbesserung der Geländeeigenschaften wäre der hydraulische Hilfsantrieb der Vorderräder Hydro-Drive eine Option. Dem Fahrkomfort zuträglich wäre eine Luftfederung der Kabine. Zu guter Letzt könnte man den Kran noch außermittig positionieren, um damit die Sicht beim Laden noch etwas zu verbessern. Das sind aber alles keine grundsätzlichen Kritikpunkte am Konzept.