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Prof. Dr. Ernst Röhrig
Prof. Dr. Ernst Röhrig

Prof. Dr. Ernst Röhrig verstorben

15. Juni 2020

Am 22. März verstarb Prof. Dr. Ernst Röhrig in sein 100. Lebensjahr. Viele der derzeit aktiven Kollegen werden ihn nicht mehr kennen. Deshalb seien zunächst die wichtigsten Stationen seines Werdegangs rekapituliert.

Ernst Hermann Friedrich Wilhelm Röhrig wurde am 21. März 1921 in Potsdam als erster Sohn des Forstrats und Oberforstmeisters Hermann Röhrig geboren. Da war gerade der 1. Weltkrieg vergangen und die unter Forstleuten noch verbreitete monarchistische Geisteshaltung musste überwunden werden. Sein Vater reüssierte im Preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und stieg zum Oberlandforstmeister auf. 1934 geriet er jedoch in Widerspruch zu den zunehmend an Einfluss gewinnenden Nationalsozialisten, quittierte den Dienst und wurde in der Holzindustrie in Breslau tätig. Das brachte auch Ernst früh in Distanz zur herrschenden Staatsdoktrin. In Breslau erwarb er das Abitur und wurde anschließend zu Reichsarbeitsdienst und Militär eingezogen. Kurz vor Kriegsende an der Westfront wurde er am linken Arm derart schwer verwundet, dass dieser amputiert werden musste. Das führte zu seiner Entlassung im März 1945. Das Kriegsende erlebte er in Bückeburg, wohin seine Eltern geflüchtet waren und sein Vater das Fürstliche Forstamt Landwehr bis 1949 leitete. Obwohl familiär vielfältig ‚vorbelastet‘ – sein Onkel Fritz Röhrig hatte zusammen mit Hilf das Standardwerk ‚Wald und Waidwerk in Geschichte und Gegenwart‘ geschrieben – wollte Röhrig zunächst Jura studieren. Das war anfangs nicht möglich. Deswegen nahm er ein Studium der Forstwissenschaft an der Forstlichen Fakultät in Hann. Münden auf. Dieses beendete er 1949. 1951 machte er sein Staatsexamen. Im selben Jahr gelang es ihm außerdem, seine Promotion im Fach Forstzoologie über Schädlingsbekämpfung abzuschließen, ein Thema, das er im Bereich Unkrautbekämpfung noch eine Weile weiterführte. Er konnte dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter rund 10 Jahre am Institut für Waldbau-Technik tätig sein und half dieses aufzubauen, sowie die Lehre zu gestalten. 1957 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die Morphologie und Standortansprüche von Schwarzpappeln. 1961 wurde er Revierassistent am Forstamt Lauenau bei Hannover.

Röhrigs Verbindung nach Eberswalde

Röhrig hatte jahrelang die Verbindung nach Eberswalde, der Schwesterfakultät bei Berlin, gehalten und sich wissenschaftlich mit dortigen Kollegen ausgetauscht. Die Fakultät in Hann. Münden war zudem eine Art Auffangbecken für mehrere Professoren von dort geworden. Nach dem Mauerbau versuchte die DDR-Führung, solche Kontakte mit allen Mitteln zu unterbinden. Als sich Röhrig daher mit dem Eberswalder Waldbau-Assistenten, Dr. Kilias, im Dezember 1961 anlässlich einer Familienreise nach Berlin in Ostberlin traf, wurden beide verhaftet und zu langjährigen Gefängnisstrafen wegen Spionage von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und Abwerbung verurteilt. Das Eingreifen von Amnesty International, weltweite Proteste und schließlich das Programm zum Häftlingsaustausch der Bundesrepublik Deutschland befreiten ihn schließlich nach 1,5 Jahren aus entwürdigender Einzelhaft. Nur dank seiner strikten Selbstdisziplin überstand er sie quasi unbeschadet.

Röhrig kehrt an die Forstfakultät zurück

Nach seiner Haftentlassung wurde ihm 1964 die Leitung des Forstamts Reinhausen bei Göttingen übertragen. Von dort aus nahm er gleichzeitig seine Forschungsaktivitäten und regelmäßigen Lehrverpflichtungen an der Göttinger Fakultät wieder auf. Außerdem betreute er eine wachsende Zahl an Diplomanden und Doktoranden. 1973 wurde er Leiter des Göttinger Waldbau-Instituts, nun in „Institut für Waldbau der gemäßigten Zonen“ umbenannt. Diese Funktion behielt er bis zu seiner auf Wunsch vorzeitigen Emeritierung 1989.

Röhrig vertrat einen praxisnahen Waldbau auf ökologischer Grundlage. In den Nachwehen des Streits um die Dauerwaldbewegung aus den 1930er-Jahren setzte er sich vehement für einen Waldbau auf naturwissenschaftlicher Grundlage ein und engagierte sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um das Waldsterben in den 1980er-Jahren für experimentelle Überprüfungen und sachliche Diskussionen. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen basieren darauf.

Waldbau auf ökologischer Grundlage

Ernst Röhrig war enzyklopädisch belesen. Das setzte ihn in die Lage, mehrfach in Sammelreferaten den jeweiligen Wissenstand von Teilbereichen zusammenzufassen. Zu diesem Aufarbeiten des jeweiligen Wissenstandes gehört auch, dass er das 1927 erstmalig veröffentlichte, epochale Waldbau-Lehrbuch von Dengler, „Waldbau auf ökologischer Grundlage“, völlig überarbeitete und in der Folge zusammen mit verschiedenen Coautoren mehrfach aktualisierte. Es ist längst das waldbauliche Standardwerk geworden. Weiterhin war er Herausgeber und Mitautor des in Amsterdam erschienenen Werks „Temperate Deciduous Forests of the World“. Er verfasste kritische Buchbesprechungen und behielt interessiert und engagiert das forstliche Schrifttum im Blick.

Die forstliche Ausbildung

Röhrigs Lehrveranstaltungen, ob im Hörsaal oder Gelände, waren für die Studierenden durch seine breite sowie anregende Herangehensweise und klare Diktion stets ein prägendes Erlebnis. Dabei vermittelte er ihnen ein umfassendes Bild der deutschen und europäischen Wälder. Von den Studierenden verlangte er eine kritische Prüfung der an sie in der Praxis herangetragenen waldbaulichen Ansichten und Verfahren. Er forderte ein Verstehen auf naturwissenschaftlicher Basis und regte ständig zu eigenem kritischen Denken an. Die schlichte Wiederholung auch gängiger und in der Praxis weithin anerkannter Meinungen genügte ihm nicht. Er verlangte eine eigene kritische Überprüfung anhand der verfügbaren naturwissenschaftlichen und waldbaulichen Kenntnisse.

Zugleich hatte er eine beachtliche Schar von Diplomanden, Doktoranden und sogar fünf Habilitanden, für die er ein anregender, ideenreicher, aber auch fordernder Betreuer war. Er verlangte ihnen viel ab, und ließ gedankliche Unsauberkeiten nicht durchgehen.

Wissenschaft und Forschung

Röhrig wirkte aber nicht nur quasi nach innen. Er war Dekan der Fakultät, lange Jahre geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Göttinger Universitätsbundes sowie des Vereins „Wissenschaft und Schrifttum“. Weiterhin machte er sich um die Zusammenarbeit und den Gedankenaustausch innerhalb der deutschen Forstwirtschaft und -wissenschaft verdient. 1983 wurde er für drei Jahre Präsident des Deutschen Verbands Forstlicher Forschungsanstalten. Der Verband war 1872 zur Koordination der Forschungsprogramme der deutschen forstlichen Forschungsanstalten gegründet worden und entwickelte sich bis 1935 zum Forum für viele Tagungen und gemeinsame Aktivitäten der beteiligten Institutionen. 1951 wurde dieser neu belebt und sein Aufgabenfeld erweitert als Sprachrohr der Forstwissenschaft nach außen und als Repräsentant in der „International Union of Forest Research Organisations“ (IUFRO), dem weltweiten Pendant des deutschen Verbands. Der Verband gliedert sich in Sektionen, z. B. „Ertragskunde“, „Wald und Wasser“, „Forstliche Biometrie und Informatik“. 1985 regte Röhrig an, eine Sektion „Waldbau“ zu etablieren. Diese leitete er selbst in den ersten Jahren und verschaffte ihr sofort Aufmerksamkeit und Zuspruch.

Internationale Zusammenarbeit

Röhrigs Aktivitäten beschränkten sich jedoch keineswegs auf den deutschsprachigen Raum. Nach dem 2. Weltkrieg sah sich die bundesdeutsche Regierung zunehmend Forderungen nach Entwicklungshilfe herausgefordert. Aber sie tat sich anfangs schwer, ein eigenes Profil zu gewinnen und Projekte zu entwickeln. Das gelang nach und nach in den 1960er-/1970er-Jahren. Röhrig half mit, vor allem Kontakte zu ausländischen forstlichen Instituten zu begründen und diese auszubauen. Das betraf zunächst die forstliche Fakultät in Monterrey/Mexiko. Später beteiligte er sich an Projekten mit ähnlichen Intentionen in Griechenland, Honduras, Brasilien, Argentinien, Peru, Zaire und China.

Ein Nachruf

Mit Ernst Röhrig hat uns also eine Persönlichkeit verlassen, die die Zeitläufte der letzten hundert Jahre teilweise arg gebeutelt hat. Das warf ihn jedoch nicht aus der Bahn. Er war ein eindrucksvoller Anreger im Waldbau, für die Forstwissenschaft insgesamt, für seine Universität, hinausreichend in mehrere Länder und – natürlich – für eine Vielzahl seiner Studenten und Kollegen.

Als Ausnahmeerscheinung überblickte, bereicherte und kommentierte er den großen Wissensbereich seines Faches auf der Grundlage naturwissenschaftlich begründeter waldbaulicher und waldökologischer Kenntnisse.

Leider zögerte er, eigene Memoiren zu schreiben. Er misstraute seiner Fähigkeit, objektiv zu berichten, weil ihm Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und andere schriftliche Dokumente dafür fehlten. So blieb nur zweien seiner Freunde und Schüler der Versuch, seinen Lebensweg knapp nachzuzeichnen, um damit zugleich einen Lichtstreif auf die bewegte forstliche Geschichte dieser vergangenen hundert Jahre zu werfen.

Jürgen Huss und Burghard von Lüpke