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Die Misteln sind ein skurriler Organismus“, sagt Pflanzenbiochemiker Braun und erläutert die Besonderheiten der Misteln bei der Atmung.
Die Mistel ist in Mitteleuropa weit verbreitet, sie entzieht den Bäumen Wasser und Mineralien.
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Misteln atmen anders

08. Mai 2018

Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Prof. Hans-Peter Braun und Dr. Jennifer Senkler vom Institut für Pflanzengenetik der Leibniz Universität Hannover hat sich in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover mit der Atmung der Mistelpflanze befasst und dabei eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Die Mistel atmet grundlegend anders als andere Pflanzen und Tiere.

Ihr fehlt ein Enzymkomplex, der bislang als unentbehrlich für die Zellatmung vielzelliger Lebewesen eingestuft wurde: der sog. NADH-Dehydrogenase-Komplex (auch als „Komplex I“ der Atmungskette bezeichnet). „Man dachte bislang, dass höheres Leben ohne diesen Enzymkomplex nicht möglich ist“, erläutert Hans-Peter Braun. Die Forschungsergebnisse, die jetzt in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift „Current Biology“ publiziert wurden, erregen in der Fachwelt große Aufmerksamkeit.

Das Fehlen des „Komplexes I“ hat eine weitreichende Umgestaltung der Atmungskette in der Mistel zur Folge. Eine Untersuchung dieser Anpassungen ist nicht zuletzt deshalb so bedeutsam, weil sie auch zu einem besseren Verständnis von Fehlfunktionen der Atmungskette bei Mensch und Tier beitragen könnte. Insgesamt sind an der Atmungskette vier Enzymkomplexe beteiligt. Die Zellatmung spielt sich im Cytoplasma und in den Mitochondrien der Zelle ab und ermöglicht die Bildung der energiereichen Verbindung Adenosintriphosphat (ATP).

„Die Mistel ist ein skurriler Organismus“, sagt Pflanzenbiochemiker Braun. Vielen ist sie bekannt, weil sie als Halbparasit in großen kugelförmigen Gebilden auf Bäumen oder Sträuchern wächst. Die Pflanze genießt seit dem Altertum auch medizinische Bedeutung. Die Mistel ist in Mitteleuropa weit verbreitet, wächst auf fast allen einheimischen Bäumen und entzieht diesen Wasser und Mineralien. Als Halbparasit wird sie bezeichnet, weil sie trotz ihres „Schmarotzertums“ Fotosynthese durchführt und sich dadurch viele wichtige Nährstoffe selber herstellen kann.

Warum es der Mistel gelingt, ihren Atmungsprozess ohne die im Energiehaushalt als zentral geltende NADH-Dehydrogenase zu bestreiten, muss allerdings noch weiter geklärt werden.

Univ. Hannover, Institut für Pflanzengenetik