Die Spedition Josef Schneller betreibt seit Juni 2019 Deutschlands ersten Holztransport-Lkw mit LNG-Flüssiggas-Motor. Muss man ein Ökofreak oder besonders risikofreudig sein, um diese alternative Antriebsform auszuprobieren? Wir haken nach bei der Spedition und beim Chauffeur.
Simon Dener dreht den Zündschlüssel um. Der Anlasser orgelt erst ein bisschen, bis der Volvo anspringt. „Da bin ich auch erst mal erschrocken – aber das ist ganz normal bei diesem Typ.“ Der Gasmotor seines neuen Volvo FH ist im Grunde seines Herzens ein Diesel, also ein Selbstzünder. Weil Gas sich aber durch reine Kompression nicht zünden lässt, besitzt sein Lkw zusätzlich zu dem charakteristischen röhrenförmigen Gasbehälter einen kleinen Dieseltank mit 170 l auf der rechten Fahrzeugseite. Davon benötigt er auf 100 km rund 3 l. Auch AdBlue ist dementsprechend mit an Bord. Weil die Verbrennung des Gases sehr heiß abläuft, ist der Harnstoffverbrauch fast so hoch wie bei einem reinen Dieselmotor.
„Aber das ist kein großer Kostenfaktor. Die Betriebskosten von diesem Fahrzeug liegen ungefähr 15 % unter einem konventionellen Lkw. LNG kostet weniger und ich verbrauche umgerechnet ein Drittel weniger. Mein Durchschnittsverbrauch liegt bisher bei 34 kg pro 100 km. Vorher waren es bei meinem Fahrprofil rund 50 l Sprit. Bis Ende 2020 sind wir mit dem Auto komplett mautbefreit. Wenn die Regelung nicht verlängert wird, dann fahre ich trotzdem 6 ct/km günstiger“, rechnet uns Dener vor. In der Anschaffung war das Hybridfahrzeug (man spricht hier von hybrid, weil zwei unterschiedliche Treibstoffe zum Einsatz kommen) rund 50 000 € teurer als ein normales. Vom Staat gab es 12 000 € Zuschuss. Der Rest muss sich amortisieren.
Fährt sich ganz normal
Der Wagen setzt sich in Bewegung. Lässt man das Fenster herunter, hört sich der Motor nahezu genauso an wie ein Diesel – vielleicht einen Ticken weicher und ein bisschen hochfrequenter. Der G13 C 460 entwickelt seine Höchstleistung von 338 kW und sein maximales Drehmoment jeweils bei etwas höheren Drehzahlen als das Diesel-Pendant. Bisher ist der 460er auch die stärkste Gas-Motorisierung bei Volvo. Kurbeln wir das Fenster wieder hoch – jetzt ist es wieder flüsterleise im Führerhaus, wie man das von einem aktuellen Volvo gewohnt ist. Die Fahrt über Land geht flott vonstatten. Der Autor hinterm Steuer hätte nicht sagen können, dass hier im unteren Drehzahlbereich etwas weniger Leistung anliegt – offenbar ist die Schaltstrategie des I-Shift-Getriebes von den Schweden auch sorgfältig angepasst worden.
Iveco, Scania und MAN bieten auch LNG-Fahrzeuge an, allerdings basieren deren Motoren auf dem Otto-Prinzip, benötigen demnach Zündkerzen, jedoch weder den Diesel- noch einen AdBlue-Tank. Dadurch können diese Fahrzeuge bis zu 400 kg Gas bunkern, wo der Volvo nur 200 kg mitnehmen kann. So erreichen sie natürlich deutlich höhere Reichweiten. Andererseits schafft Simon Dener auch schon 600 bis 700 km mit einer Tankfüllung. Als weiterer Vorteil gilt: Diese Motoren sind deutlich leiser. Das ist vor allem im Verteilerverkehr in Innenstädten oder für Müllfahrzeuge relevant, im Wald spielt das noch keine so große Rolle. Die Kraftstoffeffizienz dieser Motoren ist jedoch – wie beim Benziner auch – bei weitem nicht so gut wie beim Selbstzünder.
Die nachmittägliche Tour führt uns nach Abenberg in den südlichen Nürnberger Reichswald. Hier sollen wir eine Ladung schöner Kiefern-Abschnitte für eine kleine Sargfabrik holen. Der Boden ist sandig und das Gelände fast eben – keine Herausforderung für den 6 × 4 mit hohem Fahrwerk und speziellen Gelände-Programmen im automatisierten Getriebe. Der Aufbau stammt von Doll. Das war der einzige Aufbauer, der sich Anfang 2018 zutraute, innerhalb von drei Monaten fristgerecht zu liefern. Der Epsilon-Kran M 13 Z besitzt den großen Master-Drive-Sitz, wird aber ganz traditionell mit einer „Klaviersteuerung“ bedient. „Wir haben 24 Kranfahrzeuge in der Firma, da ist es wahnsinnig schwierig, auf etwas Anderes umzustellen“, ist Simon Deners Bemerkung dazu.
Eiskalt
Auf der Rückreise kommen wir an in Nördlingen an einer von nur zwei LNG-Tankstellen vorbei, die es in Süddeutschland bisher gibt. Simon Dener wohnt hier um die Ecke. Er nimmt sein Fahrzeug somit normalerweise jeden Abend mit nach Hause, um es zu betanken. Das war schon mal eine ganz wesentliche Voraussetzung für das Projekt LNG-Holztransport. Außerdem ist der Fahrer aufgeschlossen gegenüber alternativen Antrieben. Er fährt privat einen Benzin-Elektro-Hybriden von Toyota und ist völlig begeistert von dessen Sparsamkeit und Zuverlässigkeit. Noch ist die Zapfanlage recht provisorisch: Im Grunde genommen ist es ein Trailer mit dem Pumpwerk und ein zweiter Tankzug daneben. Außenherum ein Bauzaun, zu dem nur die Eingeweihten einen Schlüssel haben. Um LNG tanken zu dürfen, muss man vorher eine ausführliche Einweisung mitmachen. Obwohl es so kompliziert dann auch wieder nicht ist: Zuerst wird das Erdungskabel angeklemmt. Der große Tankrüssel besitzt zwei lange Hebel, die man umlegen muss. Der Füllvorgang geschieht mit einem Überdruck von 10 bar. Wenn der Tank voll wird und der Innendruck entsprechend ansteigt, muss manchmal etwas Gas zurückgesaugt werden. Das tritt aber eher bei warmen Außentemperaturen auf, oder wenn der Lkw länger steht. LNG muss nämlich bei einer Temperatur von minus 150 °C gehalten werden, damit es flüssig bleibt. Entsprechend ist das Manometer der Schlauchanlage auch von einer dicken Eiskruste bedeckt. Der Fahrzeugtank ist doppelwandig mit einem Vakuum dazwischen zur Isolation. Trotzdem verdampft mit der Zeit etwas Gas. Wenn der Innendruck zu hoch wird, bläst der Volvo das über zwei Steigrohre hinter dem Führerhaus ab. Ist das nicht gefährlich?
Nicht entzündlich
„Nein“, lacht Simon, „man würde vielleicht ein bisschen erschrecken, weil es stoßweise abgelassen wird und mit enormem Druck. Aber genau deswegen ist es eigentlich nicht entzündlich und verflüchtigt sich sofort.“ Die Sicherheitsbestimmungen verlangen, dass man beim Zapfen immer wieder einen Sicherheitsknopf drücken muss, ähnlich wie ein Lokführer mit der INDUSI. Damit soll gewährleistet werden, dass der Bediener immer anwesend und aufmerksam ist. Ansonsten schaltet sich die Anlage sofort ab. Nach rund zehn Minuten ist der Tankvorgang beendet – kaum länger als an einer Dieseltanke. Jetzt kommt der einzig risikoreiche Moment: Beim Abziehen des Tankstutzens ist noch etwas Druck auf dem Schlauch und es können einige Spritzer des eiskalten Flüssiggases durch die Gegend fliegen. Diese würden bei direktem Haut- oder Augenkontakt kleine aber lokal schwere Verbrennungen verursachen. Deswegen sind lange Ärmel, Handschuhe und eine Schutzbrille vorgeschrieben. Die seltsamen Vollschutzmasken, die man teilweise schon in Zeitungsberichten gesehen hat, müssen es aber nicht unbedingt sein.
Mut zur Innovation
Das hört sich doch soweit alles ganz gut an – gab es denn schon mal Schwierigkeiten mit der Technik? „Nein, überhaupt nicht. Wir haben auch kaum Probleme mit der Reichweite. Nur wenn ich zu Mercer nach Friesau fahre, wird es manchmal etwas knapp. Aber bald soll in Nürnberg eine weitere Tanke eröffnen, dann wird es nochmal besser für uns. Meine Chefin hat gesagt, wenn sie gewusst hätte, dass die Autos so problemlos laufen, dann hätte sie gleich mehrere davon gekauft. Aber jetzt gibt es gerade ziemlich lange Wartezeiten.“ Seine Chefin, das ist Rosemarie Schneller-Müller, die Tochter des Firmengründers Josef Schneller. Ihr Mann, Georg Müller, ist der Inhaber der Georg Müller und Töchter GmbH & Co. KG in Wilburgstetten. Er hat parallel gleich vier Kipper mit LNG-Antrieb gekauft und ebenfalls bisher nur gute Erfahrungen mit diesen Fahrzeugen gemacht. Die beiden Unternehmen hatten früher auch schon Rapsölfahrzeuge im Einsatz, bis dieser umweltfreundliche Antrieb durch die Besteuerung unattraktiv wurde. Die LNG-Autos stoßen aktuell gut 20 % weniger CO₂ als Diesel-Lkw aus. Das ist sicher kein Allheilmittel, aber ein Schritt in die richtige Richtung und eine Alternative für den Schwerlastverkehr.
Was ist Liquid Natural Gas?
Liquid Natural Gas oder kurz LNG darf man nicht verwechseln mit LPG, dem Liquefied Petroleum Gas. Während letzteres zumeist aus fossilem Propan oder Butan besteht und sich unter Hochdruck verflüssigen lässt, steckt in LNG hauptsächlich Methan. Damit es flüssig und sein Volumen auf 1/600 reduziert wird, muss man es auf rund minus 150 °C herunterkühlen. Weltweit gibt es davon erhebliche Mengen und viele europäische Länder, darunter Spanien nutzen es schon intensiv für den Lkw-Verkehr, was mit LPG nicht möglich wäre.
Eine Studie des europäischen Umweltverbandes Transport & Environment kritisierte unlängst, dass nicht genug positive Umweltwirkungen mit LNG-Fahrzeugen erzielt werden könnten und forderte eine Abschaffung der Privilegien. Die Brancheninitiative „Zukunft Erdgas“ sieht darin jedoch eine schnell wirksame Möglichkeit für den Klimaschutz und zumindest eine gute Brückentechnologie. Gerade im ländlichen Raum wäre auch der Einsatz von Methan aus Biogasanlagen denkbar, was bei einer Herstellung aus Gülle sogar eine CO2-Senke darstellen würde. Aktuell ist die Tankstellendichte in Deutschland noch sehr unbefriedigend, aber es sind diverse Anlagen im Aufbau begriffen. Auf den Internetseiten der deutschen Energie-Agentur (dena) findet sich eine interaktive Karte mit den Standorten.