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Arten- und funktionsreiche Ökosysteme können viel zur Minderung des Klimawandels beitragen, besagt eine neue Studie, an der das KIT in Karlsruhe mitgewirkt hat.
Arten- und funktionsreiche Ökosysteme können viel zur Minderung des Klimawandels beitragen, besagt eine neue Studie, an der das KIT in Karlsruhe mitgewirkt hat.

Klima- und Biodiversitätskrise nicht isoliert betrachten!

25. April 2023
Die Klima- und die Biodiversitätskrise wie getrennte Katastrophen zu behandeln ist ein Fehler, sagen Forschende in einer jüngst veröffentlichten Studie.

Der Klimawandel hat zusammen mit dem intensiven Nutzen und Zerstören natürlicher Ökosysteme einen beispiellosen, fortschreitenden Artenschwund ausgelöst. Häufig werden die Klima- und die Biodiversitätskrise aber wie getrennte Katastrophen behandelt. Ein internationales Team aus Forschenden, an dem auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt ist, fordert nun ein Umdenken.

30 % unter Schutz stellen

In ihrer im Fachmagazin Science veröffentlichten Übersichtsstudie betonen sie die Dringlichkeit, möglichst nahe am 1,5-Grad-Ziel zu bleiben, und unterstützen unter anderem das Vorhaben, mindestens 30 % der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen unter Schutz zu stellen.

Die menschengemachte Klimakrise habe Folgen für den ganzen Planeten – beispielsweise verschiebe sich die Verteilung von Niederschlägen, der globale Meeresspiegel steige, Extremwetterereignisse werden häufiger und die Ozeane versauern zunehmend. Zugleich schreite der Verlust von Tier- und Pflanzenarten weltweit voran.

„Zwingend zusammen denken“

„Wir müssen Klima- und Artenschutz zwingend zusammen denken. Denn Maßnahmen, die sich beispielsweise allein auf den Klimaschutz konzentrieren, können sich durchaus auch negativ auf die Biodiversität auswirken“, sagt Professorin Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung, dem Campus Alpin des KIT in Garmisch-Partenkirchen, und Mitautorin der Studie. „Beide Systeme funktionieren nur zusammen. Gesunde arten- und funktionsreiche Ökosysteme etwa tragen viel zur Minderung des Klimawandels bei.“

Laut der Übersichtsstudie haben menschliche Aktivitäten rund 75 % der Landoberfläche und 66 % der Ozeangebiete der Erde stark verändert. Durch Zerstörung von Lebensräumen und Übernutzung seien mehr Arten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, was durch den Klimawandel weiter verstärkt werde.

Die Erwärmung und die Zerstörung natürlicher Lebensräume reduzierten auch die Speicherkapazitäten von Organismen, Böden und Sedimenten für Kohlenstoff, was wiederum die Klimakrise verschärfe, so die Forschenden. Weil Organismen bestimmte Toleranzfenster für Umweltbedingungen wie die Temperatur haben, verschieben sich infolge der globalen Erwärmung die Lebensräume der Arten oder sie verschwinden ganz.

Renaturierung mindert Artensterben und bindet CO2

Um der Klima- und Biodiversitätskrise zu begegnen, schlagen die Forschenden ein Aktionspaket aus Emissionsreduktion, Renaturierungs- und Schutzmaßnahmen, intelligentem Management von Nutzflächen sowie institutionsübergreifenden Kompetenzen in der Politik vor.

Ganz oben auf der Prioritätenliste stehe nach wie vor die massive Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, sagt Professor Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und Leitautor der Studie. Darüber hinaus müssten mindestens 30 % der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen unter Schutz gestellt oder renaturiert werden, um die größten Biodiversitätsverluste zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit der natürlichen Ökosysteme zu erhalten. Das helfe auch im Kampf gegen den Klimawandel.

Kohlenstoff langfristig binden

Die tatsächliche Umsetzung des vor Weihnachten 2022 beschlossenen Kunming-Montreal Protokolls zum Schutz der Biodiversität habe daher ebenso hohe Priorität wie das Pariser Klimaabkommen, betont Arneth.

Laut der Studie könnte schon eine weitgehende Renaturierung von 15 % der zu Nutzland umgeformten Flächen ausreichen, um 60 % der noch zu erwartenden Aussterbeereignisse zu verhindern.

Zudem könnten damit bis zu 300 Gigatonnen Kohlendioxid langfristig aus der Atmosphäre entnommen und gebunden werden, was 12 % des seit Beginn des Industriezeitalters insgesamt ausgestoßenen Kohlenstoffs entspräche.

Ressourcen nachhaltig nutzen

Weiterhin schlagen die Studienautorinnen und -autoren vor, Schutzgebiete nicht als isolierte Rettungsinseln für Artenvielfalt zu begreifen, sondern als Teil eines Netzwerks, das Gebiete mit naturnaher Wildnis über Migrationskorridore miteinander verbindet.

Dabei gelte es, vor allem indigene Gesellschaften in das Schutzmanagement einzubinden und staatlich zu unterstützen. In der Landwirtschaft und Fischerei gehe es um ein nachhaltiges Nutzen der Flächen, das Ressourcen schont und die Lebensmittelversorgung sichert. Konzepte, die zu einer verstärkten Kohlendioxidaufnahme und Kohlenstoffbindung in Biomasse und Böden führen, seien dabei zu bevorzugen.

Zugleich gehe es darum, Refugien für Arten zu schaffen, die ihrerseits den Ertrag erst möglich machen, wie Insekten, die Obstbäume bestäuben. In Städten schließlich sollte nach Einschätzung der Forschenden vor allem die Verbesserung der Kohlendioxid-Bilanz absolute Priorität haben.

Klimaschutz, Biodiversität und Soziales gehören zusammen,

Damit die für 2030 und 2050 geplanten globalen Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können, müssen bei allen Maßnahmen Klimaschutz, Biodiversitätserhalt und soziale Vorteile für die lokale Bevölkerung zusammengedacht werden, so das Fazit der Studie.

Die Studie ist das Ergebnis eines Workshops, den die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) und das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC), beide auch bekannt als „Weltbiodiversitätsrat“ und „Weltklimarat“, gemeinsam durchführten.

Originalpublikation

H.-O. Pörtner, R. J. Scholes, A. Arneth, D.K.A. Barnes, M.T. Burrows, S.E. Diamond, C.M. Duarte, W. Kiessling, P. Leadley, S. Managi, P. McElwee, G. Midgley, H.T. Ngo, D., Obura, U. Pascual, M. Sankaran, Y.J. Shin, A.L. Val: Overcoming the coupled climate and biodiversity crises and their societal impacts. Science, 2023. https://doi.org/10.1126/science.abl4881

Quelle: KIT Karlsruher Institut für Technologie