Quelle: Forstarchiv 83; 1, 41-47 (2012)
Autor(en): FINKELDEY R, VORNAM B, KUCHMA O
Kurzfassung: Durch den Reaktorunfall von Tschernobyl haben sich die Umweltbedingungen, unter denen Waldbäume in der unmittelbaren Umgebung des explodierten Reaktors gedeihen, schlagartig verändert. In der nach der Katastrophe eingerichteten Sperrzone um das Kraftwerk wachsen insbesondere Kiefernwälder (Pinus sylvestris), die entweder vor dem Unfall angelegt wurden und damit sowohl hoher akuter als auch langjähriger chronischer Strahlung ausgesetzt waren, oder die nach dem Unfall insbesondere in Gebieten mit extrem hoher Strahlung angepflanzt wurden und damit unter sehr hoher chronischer Belastung leiden. Untersucht wurden sowohl bereits vor dem Unfall gepflanzte Bestände als auch jüngere, nach dem Unfall vorwiegend als Schutz vor Winderosion angelegte Pflanzungen. Als Vergleich dienten jeweils Bestände gleichen Ursprungs und gleichen Alters in nicht von hoher Strahlung belasteten Regionen. Wir konnten somatische Mutationen in verschiedenen Bereichen des Kieferngenoms nachweisen, indem jeweils Material von mehreren Zweigen unterschiedlicher Exposition desselben Baumes analysiert wurde. An Mikrosatelliten-Genorten wurden im nicht belasteten Vergleichsmaterial keine Mutationen und wenige Mutationen bei den Kiefern um Tschernobyl festgestellt. Höhere Mutationsraten wurden mit der AFLP (Amplifizierte Fragmentlängen-Polymorphismus)-Methode nachgewiesen. Hier war die Mutationsrate der radioaktiv belasteten Kiefern etwa dreimal so hoch wie die für unbelastete Bäume geschätzte Rate. Signifikante Häufigkeitsunterschiede wurden bei Vergleichen genetischer Strukturen an AFLP zwischen Vergleichsbeständen und Pflanzungen auf stark kontaminierten Böden gefunden. Die Differenzierung zwischen diesen Kollektiven war bei etwa 6 % der betrachteten AFLP-Genorte so hoch, dass sie nicht mit dem Zufall erklärt werden kann. Viele dieser Genorte unterliegen damit vermutlich der Selektion. Die Anpassungsfähigkeit von Kiefern an hohe Radioaktivität wird also auch von ihrer genetischen Ausstattung beeinflusst, und Populationen reagieren auf die hohe Radioaktivität mit Änderungen ihrer genetischen Strukturen durch Selektion. Untersuchungen zur Genexpression ergaben für ein für die physiologische Antwort von Pflanzen auf vielfältige Stressfaktoren bedeutsames Katalase-Gen eine stark erhöhte Aktivität in radioaktiver Strahlung ausgesetzten Kiefern im Vergleich zu den Kontrollen, während ein ebenfalls oft in Stressreaktionen involviertes Glutathionperoxidase-Gen in den belasteten Kiefern weniger stark als in den Kontrollen exprimiert wurde. Schließlich konnten auch Unterschiede der Methylierungsmuster zwischen akut und chronisch radioaktiv belasteten Bäumen und Kontrollen beobachtet werden; erhöhte DNA-Methylierung stellt ebenfalls eine mögliche Reaktion von Kiefern auf die Umweltveränderung dar. Die Reaktionen von Kiefern auf stark erhöhte Radioaktivität sind also sehr komplex, beschränken sich nicht nur auf höhere Mutationsraten, schließen Mechanismen zum Schutz der DNA wie Methylierung sowie veränderte Genexpressionsmuster ein und zeigen sich auf der Ebene von Populationen auch in der Veränderung genetischer Strukturen durch Selektion.
Genetic reactions to extreme environmental change: Pines in Chernobyl as an example
Abstract: The nuclear accident of Chernobyl caused a drastic change of the environmental conditions for trees growing close to the exploded reactor. Forests in the exclusion zone surrounding the nuclear power plant are dominated by pines (Pinus sylvestris). Pine plantations were either established before the accident or were planted on extremely contaminated soils after the accident. The former experienced high acute followed by chronic radiation while the latter suffer from extremely high levels of chronic radiation. We investigated both types of pine stands, i. e. plantations established before and after the accident, and compared results to stands of the same origin and age in areas with normal levels of background radiation. We observed somatic mutations in different regions of the pine genome by investigating tissue from several twigs with different exposition from the same tree. At microsatellite loci no mutations were observed in control trees and only few mutations in pines close to the reactor. Mutation rates were higher at AFLP (Amplified Fragment Length Polymorphisms); a threefold increase of the mutation rate was observed in trees exposed to high radioactivity in comparison to controls. Comparisons of genetic structures at AFLP revealed significant differences between control populations and plantations established at contaminated sites after the accident. Random fluctuations of gene frequencies were excluded as likely causes of the observed differentiation for approximately six percent of the investigated loci. Selection is likely to act on many of these loci. The adaptive potential of pine trees to high radioactivity is influenced by their genetic constitution, and populations react to high radioactivity by changes of their genetic structures due to selection. The analysis of gene expression patterns in a catalase gene, which is known to be involved in general stress response of many plant species, revealed a strong increase of the gene activity in pines exposed to high radioactivity in comparison to the controls. The opposite tendency was observed for a glutathione peroxidase gene, which is also frequently affected in plants exposed to different types of stress; a slightly higher activity of this gene was observed in control trees. Finally, different methylation patterns were observed between trees exposed to acute and chronic radiation in comparison to their controls. Accordingly, DNA methylation might be another response of pines to environmental change. In conclusion, we observed highly complex reactions of pines to high radioactivity. We observed elevated mutation rates, protection of DNA by increased methylation, modified patterns of gene expression and changes of genetic structures due to selection in response to the high levels of radioactivity experienced by pine trees in the Chernobyl exclusion zone.
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