
Erst seit etwa 2009 kennt man das Alpha-Gal-Syndrom. Es ist eine allergische Erkrankung, bei der die betroffenen Personen auf das Zuckermolekül Galaktose-α-1,3-Galaktose (Alpha-Gal) regieren. Eine allergische Reaktion tritt auf, wenn Betroffene rotes Fleisch essen, sogar bis zum allergischen Schock. Übertragen wird die Krankheit durch einen Zeckenbiss. Über die Gefahren, die Hintergründe und den Verlauf der Symptome einer Fleischallergie hat das Wochenblatt mit Dr. Eva Oppel gesprochen. Sie ist Allergologin, Oberärztin und Leiterin des Allergiezentrums am LMU-Klinikum in München.
Was ist das Besondere an der Fleischallergie, dem Alpha-Gal-Syndrom?
Das Besondere ist, dass man bei den meisten Allergien eigentlich auf Eiweißpartikel reagiert. Beim Alpha-Gal-Syndrom reagiert man aber auf ein Zuckermolekül, den Alpha-Gal-Zucker. Dieser kommt vor allem als Oberflächenmolekül in Säugetieren vor, die rotes Fleisch besitzen. Da in erster Linie: Rind, Schwein, Lamm und Wild. Diese Tiere besitzen alle dieses Molekül.
Zecken können Alpha-Gal-Syndrom auf Menschen übertragen
Wir Menschen besitzen das Molekül nicht?
Nein, deshalb entsteht das Alpha-Gal-Syndrom. Sobald wir Menschen dieses immunogene Zuckermolekül in den Körper aufnehmen, weiß der Körper, dass es nicht zu ihm gehört und bildet Antikörper dagegen. Diese Antikörper verteilen sich dann im Blut. Um aber von einem Syndrom zu sprechen, muss der Körper auch Symptome entwickeln. Das bedeutet, der Patient hat dann nicht nur diese Antikörper, sondern auch klinische Reaktionen darauf. Interessant ist auch, dass es nach heutigen Erkenntnissen wohl zu keiner Sensibilisierung, also keiner Antikörperentwicklung kommt, wenn wir nur rotes Fleisch essen, sondern das Zuckermolekül muss auf anderem Weg in unseren Körper gelangen – und da kommt die Zecke ins Spiel.
Unter welchen Voraussetzungen kann man durch einen Zeckenbiss eine Fleischallergie entwickeln?
Wahrscheinlich ist es so, dass die Zecke davor ein Säugetier, welches dieses Zuckermolekül besitzt, gebissen haben muss – beispielsweise einen Hund oder eine Kuh. Wenn sie danach an einem Menschen saugt, überträgt sie damit mit ihrem Speichel das Zuckermolekül. Neuerdings gibt es aber auch Hinweise darauf, dass die Zecke das Zuckermolekül sogar selbst produzieren kann.
Jäger und Forstleute gehören zur Risikogruppe bei einer Fleischallergie
Gibt es Risikogruppen unter den Menschen, die für eine Fleischallergie anfälliger sind?
Bei Heuschnupfen, Neurodermitis oder anderen Allergien weiß man, dass man dafür bestimmte Gene braucht. Das Besondere bei der Fleischallergie ist, dass es Leute bekommen können, die noch keine anderen Allergien haben. Trotzdem kann es aber natürlich ebenfalls Menschen mit anderen Allergien treffen. Auf jeden Fall zur Risikogruppe gehören aber Landwirte, Jäger, Forstarbeiter und Gärtner, weil sie durch ihren Beruf häufiger von Zecken gestochen werden.
Kann man gegen die Fleischallergie vorbeugen?
Ja, indem man sich vor Zecken schützt. Wenn man draußen in der Wiese oder im Wald unterwegs ist, sollte man lange Hosen anziehen. Wenn man daheim ist, sollte man sich unbedingt am Körper absuchen, ob irgendwo eine Zecke zu finden ist. Das ist bisher das Einzige, was man vorbeugend machen kann.
Also hilft die Zeckenimpfung auch nicht dagegen?
Nein, leider nicht. Die FSME-Impfung hat überhaupt nichts mit dem Alpha-Gal-Syndrom zu tun.
Fleischallergie: Betroffene dürfen nie wieder rotes Fleisch essen
Wenn man das Alpha-Gal-Syndrom hat, kann man es wieder heilen?
Bei einer Lebensmittelallergie gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit: Man darf die Lebensmittel, auf die man allergisch ist, nicht mehr essen. Das kann man bei der Fleischallergie vor allem durch die Anamnese und einer allergologischen Untersuchung herausfinden. Danach raten wir in jedem Fall dazu, auf rotes Fleisch zu verzichten und auf keinen Fall mehr Innereien zu verzehren, denn darin ist besonders viel Alpha-Gal enthalten.
Wie merkt man, dass man eine Fleischallergie hat?
Auch hier ist das Alpha-Gal-Syndrom besonders. Bei anderen Allergien merkt man direkt nach dem Kontakt eine Reaktion. Bei dieser Art von Fleischallergie dauert es im Schnitt sechs bis acht Stunden, bis man überhaupt Symptome zeigt. Bei den meisten ist das nachts oder in den frühen Morgenstunden. Deswegen denken so wenige daran, dass es vom Essen kommen könnte. Der Grund dafür ist, dass die Lebensmittel erst die Magen-Darm-Passage passieren müssen, damit das Zuckermolekül ins Blut gelangen kann. Bei den meisten Fällen sprechen die Patienten davon, dass sie nachts mit Atemnot oder einem Hautausschlag aufwachen. Notärzte und Internisten denken dabei oft noch zu wenig an das Alpha-Gal-Syndrom. Sie vermuten häufig eine Synkope oder einen Herzinfarkt. Deshalb die dringende Bitte: Bei Auftreten der Symptome immer nach einer allergologischen Untersuchung verlangen und am besten einen Allergologen aufsuchen.
Das sind die Symptome einer Fleischallergie
Welche Symptome hat man als Betroffener?
Ausgelöst werden die Symptome, wenn der Körper bereits Antikörper gebildet hat, also sensibilisiert ist. Sobald man dann rotes Fleisch ist, oder Gummibärchen mit Gelatine oder in seltenen Fällen Milch trinkt, kann der Körper darauf reagieren. Auch einige spezielle Medikamente können Alpha-Gal enthalten. Begünstigt werden kann eine Reaktion zusätzlich durch das Trinken von Alkohol oder körperliche Anstrengung, das sind beides Triggerfaktoren. Am ehesten merkt man die ersten Symptome auf der Haut. Man bekommt eine Schwellung im Gesicht, Ödem genannt, oder ein Nesselfieber, also Quaddeln am ganzen Körper. Als nächste Stufe können Kreislaufprobleme auftreten. Es wird einem schwindelig, der Blutdruck fällt ab, man entwickelt Herzrasen und Übelkeit. Manche nässen auch ein, das ist gar nicht so selten. Anderen versagt der Kreislauf so stark, dass sie in einen Schock-Zustand kommen. Jeder, der solche Symptome zeigt und einmal behandelt wurde, bekommt von da an ein Notfall-Set mit Adrenalinspritze, die man dann auch nachts in erreichbarer Nähe haben sollte. Denn auch wenn man erneut von einer Zecke gestochen wird, die das Zuckermolekül trägt, kann die Allergie wieder geboostert werden und starke Symptome auslösen.
Kann man einen Antikörpertest machen lassen, um nach einem Zeckenbiss herauszufinden, ob man das Alpha-Gal-Syndrom hat?
Ja, ein allergologisches Labor kann mit einer Blutprobe die Antikörper nachweisen. Doch die Frage dabei ist: Will man das wissen? Denn sobald man es weiß, ist man gehemmt. Wenn man bisher alles essen kann, sollte man auch weiter alles essen und auch Milch trinken. So entsteht eine natürliche Toleranz, die man auch aufrechterhalten sollte. Um beim Vorliegen verdächtiger Symptome das Alpha-Gal-Syndrom wirklich zu diagnostizieren, sollte man zu einem Allergologen gehen. Wir machen dann Hauttests, meist mit echtem Fleisch und provozieren Patienten bei Unklarheiten unter stationären Bedingungen, indem wir diese Schweinenieren essen lassen.
Wie viele Menschen sind vom Alpha-Gal-Syndrom betroffen?
Es schwirren gerade sehr unterschiedlich hohe Zahlen herum. Weil sie in den Medien bisher oftmals falsch wiedergegeben wurden. Dort spricht man von bis zu 30 %, die von dem Syndrom betroffen sind, doch da ist Vorsicht geboten. Bei den Zahlen handelt es sich in erster Linie um Fälle mit einer Sensibilisierung, aber ohne Symptome. Das Alpha-Gal-Syndrom haben nur Menschen, die auf diese Antikörper reagieren und allergische Reaktionen zeigen, also eine klinische Relevanz aufzeigen. Das heißt, ein Patient muss für die Diagnose auch die entsprechende Anamnese (Anm. d. Red. Erfragen und Aufzeichnung der Beschwerden und Leidensgeschichte durch den Arzt) dafür haben.
Warum gibt es keine offiziellen Zahlen zum Alpha-Gal-Syndrom?
Wir wissen von der Krankheit erst seit etwa zwölf Jahren, zunächst ausgelöst durch Alpha-Gal enthaltende Medikamente. Es gibt bisher nur Fallberichte und kleinere Studien, wie beispielsweise eine Untersuchung der Universitäts-Hautklinik Tübingen aus 2017, die eine Sensibilisierung mit Alpha-Gal bei Jägern und Waldarbeitern in Deutschland untersucht hat. Sie spricht von über 30 %, die in der Berufsgruppe Antikörper haben. Hinweise für das Syndrom hatte knapp ein Drittel. Der noch geringe Bekanntheitsgrad der Erkrankung und ihrer Symptome sowie die Notwendigkeit größer angelegter Studien, sind sicher ein Grund, dass wir in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland, noch keine besser einzuordnenden Zahlen zur Häufigkeit haben. Dadurch ist die Dunkelziffer wahrscheinlich auch hoch.
Was würden Sie sich im Kampf gegen die Krankheit wünschen?
Den Klimawandel stoppen, damit sich die Zecke nicht noch mehr verbreiten kann. Und mehr Aufklärung, vor allem bei den betroffenen Berufsgruppen wie Landwirten, Jägern und Forstarbeitern. Vielleicht sogar mit einer Aufklärungskampagne, wo man wirklich über das Land fährt und die Bevölkerung über die Symptome und Risiken aufklärt, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, damit im Ernstfall auch an eine Fleischallergie gedacht wird.