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Mit der neuen LULUCF-Verordnung hat die EU die CO2-Senken-Zielen für die Land- und Forstwirtschaft bis 2030 erhöht. Fachverbände halten diese Ziele für unrealistisch.
Mit der neuen LULUCF-Verordnung hat die EU die CO2-Senken-Zielen für die Land- und Forstwirtschaft bis 2030 erhöht. Fachverbände halten diese Ziele für unrealistisch.

EU-Klimaschutz-Verordnung mit unrealistischen Zielen

23. März 2023
Am 14. März hat das Europäische Parlament die neue LULUCF-Verordnung beschlossen. Sie gibt für jeden Mitgliedsstaat verbindliche CO2-Senken-Ziele vor. In Deutschland wären das 30,8 Mio. Tonnen CO2 bis 2030. Fachverbände der Landnutzer halten dieses Ziel für unrealistisch.

Das Europäische Parlament nahm am 14. März mit 479 zu 97 Stimmen bei 43 Enthaltungen die überarbeitete Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (Land Use, Land Use Change and Forestry = LULUCF) an.

Ziele um 15 % erhöht

Die neuen Regeln sollen den natürlichen CO2-Senken in der EU zugutekommen und Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Außerdem sollen sie im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal die Artenvielfalt fördern.

Der Zielwert der EU für den Nettoabbau von Treibhausgasen im LULUCF-Bereich bis 2030 wird mit den neuen Vorschriften um 15 % auf 310 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent erhöht. Dieses neue Ziel soll bewirken, dass die Treibhausgasemissionen der EU bis 2030 im Vergleich zu 1990 nicht wie bisher geplant um 55 %, sondern um rund 57 % zurückgehen.

Steuerung, Flexibilität und Überwachung

Um ihre Ziele zu erreichen, können die Mitgliedstaaten Gutschriften für den CO2-Abbau kaufen und verkaufen und dabei den Spielraum nutzen, den ihnen die Lastenteilungsverordnung und die überarbeitete LULUCF-Verordnung bieten. Außerdem ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten bei Naturkatastrophen wie Waldbränden entsprechend entschädigt werden.

Die EU-Staaten müssen künftig korrigierend eingreifen, wenn sich abzeichnet, dass ihre Fortschritte nicht ausreichen. Verstöße werden bestraft: Wer die Zielvorgabe für 2026 bis 2029 nicht einhält, dem werden 108 % der darüber hinausgehenden Treibhausgasemissionen zu seinem Ziel für 2030 hinzugerechnet.

Damit das EU-Ziel tatsächlich erreicht wird, legt die Kommission spätestens sechs Monate nach der ersten im Rahmen des Übereinkommens von Paris vereinbarten weltweiten Bestandsaufnahme einen Fortschrittsbericht vor. Erforderlichenfalls arbeitet sie anschließend entsprechende Gesetzesvorschläge aus.

Stille bei Umweltverbänden

Merkwürdige Stille herrschte nach dem EU-Parlamentsbeschluss bei den Umweltverbänden. Kein einziger äußerte sich zu dem Beschluss. Möglicherweise war die nur einen Tag später erschienene Meldung des Umweltbundesamts, dass die Sektoren Gebäude und Verkehr ihre Klimaziele 2022 meilenweit verfehlt haben, wichtiger. Vielleicht weiß man aber auch bei den Umweltverbänden, dass die Ziele, die dem Landwirtschafts- und Forstsektor aufgebürdet werden, schlicht nicht zu erfüllen sind.

So mochte sich lediglich Anna Deparnay-Grunenberg, EU-Abgeordnete der Grünen, über den Beschluss freuen. Die Verordnung zwinge die Mitgliedstaaten, endlich ihre Wälder zu retten, sagte sie. Allein zwischen 2013 und 2019 sei die Senkenfunktion des LULUCF-Sektors in der EU um ein Fünftel zurückgegangen. Insbesondere Abholzung, Borkenkäfer und Waldbrände hätten dazu beigetragen, dass der Wald immer weniger Treibhausgase binde. Diese Aussage bestätigt der Berichterstatter Ville Niinistö (Grüne/EFA, Finnland): „Seit zehn Jahren schwinden die Senken in der EU“, sagt er.

Kritik an Kahlschlagwirtschaft

In weiten Teilen der baltischen Staaten, Skandinaviens und Frankreichs gleiche die Forstwirtschaft zunehmend einer Plantagenwirtschaft. Damit kritisiert Deparnay-Grunenberg die Kahlschlagwirtschaft in diesen Ländern

Die Alternative sei nicht, wie die Forstwirtschaft befürchte, große Teile der Wälder stillzulegen, sondern eine komplett andere, nachhaltigere, klimaangepasste und naturnahe Form der Bewirtschaftung.

Dazu gehöre, bei der Ernte schonend Gassen anzulegen und Seilwinden einzusetzen, das heißt derart behutsam zu fällen, dass das Kronendach des Waldes stets geschlossen bleibe und der Waldboden feucht.

Mischwälder statt Monokulturen

Zudem müsse man die Binsenweisheit beherzigen, Mischwälder mit standortangepassten Bäumen zu pflanzen, statt immer neue Monokulturen anzulegen, wie es gerade in Frankreich trotz aller Warnrufe der Wissenschaft geschehe.

Dort setze man insbesondere auf die nordamerikanische Douglasie. Diese habe zwar noch keine Schädlinge, aber wenn man wieder nur auf eine Baumart setze, sei die nächste Katastrophe vorprogrammiert.

Ziele unrealistisch

Für Deutschland sieht die Verordnung vor, dass Wälder und Landwirtschaftsflächen 30,8 Mio. t CO2 binden sollen. Verbände der Landnutzer haben bereits vor der Abstimmung im EU-Parlament für wissenschaftsbasierte und realistische Ziele für Treibhausgassenken appelliert.

Prof. Dr. Andreas Bitter, Präsident der AGDW – Die Waldeigentümer, erläutert: „Die CO2-Bindung des deutschen Waldes wird aufgrund des Alters der Bäume, aber auch durch klimawandelbedingte Schäden und den Waldumbau, in den nächsten Jahren zurückgehen.“ Dies werde dazu führen, dass sich die Klimabilanz des LULUCF-Sektors insgesamt verschlechtert und die von der EU angestrebten Ziele für natürliche Treibhausgasbindung nicht erreichbar seien. Die Ziele seien weder wissenschaftsbasiert festgelegt noch realistisch.

Dies zeigen auch die Projektionen der Bundesregierung und der EU-Kommission selbst. Laut Projektionsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2021 werde der LULUCF-Sektor im Jahr 2030 eine Treibhausgasquelle von rund 22 Mio. t CO2 darstellen und damit eine Lücke zum Ziel der EU von rund 50 Mio. t CO2 aufweisen.

Weniger heimisches Holz = Mehr CO2-Ausstoß

Die Ziele der EU bedeuteten, große Teile des Waldes aus der Nutzung nehmen zu müssen, weil die EU einseitig die Kohlenstoffbindung im Wald und zu wenig die Nutzung der Ressource Holz berücksichtige, warnt Max von Elverfeldt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst. Als Folge davon stünde weniger heimisches Holz zur Verfügung.

Die Bioökonomie werde dadurch ausgebremst und der Ersatz energieintensiver Materialien wie Stahl und Zement oder fossiler Energieträger beeinträchtigt. Anstatt heimischen Ressourcen zu nutzen, müsse Holz aus Drittstaaten importiert werden und würde zu zusätzlichen Transportemissionen und Verlagerungseffekten führen. Vor diesen habe bereits der wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik beim BMEL gewarnt.

Mit Holzenergie CO2 speichern

Mit der absehbaren Zielverfehlung für die CO2-Senken im LULUCF-Bereich drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe für Deutschland, aber auch für andere EU-Mitgliedsstaaten, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes Bioenergie, Artur Auernhammer. Der Landnutzungssektor werde die für Klimaneutralität erforderliche Treibhausgasbindung nicht allein leisten können.

Statt Wälder aus der Nutzung zu nehmen, solle man auf eine nachhaltige Nutzung der heimischen Biomasse setzen: Die Bioenergie in Kombination mit dem Abscheiden und Speichern von CO2 aus den Rauchgasen stelle erneuerbare Energie bereit und biete gleichzeitig auf technischem Wege die Möglichkeit, eine CO2-Senke zu schaffen oder grünes CO2 für den Einsatz in der Bioökonomie zu liefern.

Das in Fachkreisen als „BECCS“ bezeichnete Verfahren (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) müsse laut Weltklimarat IPCC deutlich ausgebaut werden, um die für Klimaneutralität benötigten Mengen an CO2-Senken bereitzustellen.

Hoffen auf Kurskorrektur

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, sieht in der Kohlenstoffbindung in Wäldern und landwirtschaftlichen Böden einen sehr wichtigen Beitrag auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die hierüber erzielten Bindungsleistungen müssen aber vorrangig dem Sektor Landwirtschaft gutgeschrieben werden, nicht der Energiewirtschaft oder der Industrie.

Eine besondere Herausforderung sieht Rukwied in der Minderung der CO2-Emissionen aus Mooren, hier brauchen die Landwirte realistische und wirtschaftlich interessante Angebote für Nutzungsänderungen.

Wichtig sei deshalb, dass die jetzt zur Abstimmung anstehende LULUCF-Verordnung rechtzeitig vor 2030 einer kritischen Prüfung unterzogen werde und die Ziele dann basierend auf aktuellen und wissenschaftlich fundierten Daten angepasst werden.

Quellen: Europ. Parlament, AGDW, FABLF, BBE, DBV