Immer wieder erfahren wir durch die Medien von Protestaktionen gegen große Bauprojekte, für die Natur verloren geht. Es klingt immer so, als wäre das Geschehen weit weg, doch wie sieht es aus, wenn ein Wald in der Nähe und uns lange vertraute Waldeigentümer und Forstkollegen betroffen sind. Dieser Bericht versucht möglichst neutral die Eindrücke eines befreundeten Forstbetriebsleiters wiederzugeben.
Die älteren unter den Lesern werden noch die Bilder von den Demonstrationen gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens Mitte der 1980er-Jahre kennen. Ein Schock ging durch das Land, als am 2. November 1987 ein Demonstrant Schüsse aus einer Pistole auf die hessische Bereitschaftspolizei abfeuerte. Zwei Polizisten starben an ihren Schussverletzungen.
Es soll hier keine Horrorgeschichte geschrieben werden, doch die Berichte über monatelange Protestaktionen gegen große Bauprojekte machen nachdenklich. Immer ist auch Wald davon betroffen und der Wald gehört jemandem. Bekannte Beispiele sind der Bau der Landebahn am Frankfurter Flughafen im Kelsterbacher Wald oder der Hambacher Forst, der zur Erweiterung eines Braunkohletagebaus gerodet werden sollte. Immer öfter richten sich Proteste gegen die Forstwirtschaft selbst, zum Beispiel als Greenpeace im Jahr 2012 gegen den Anbau von Douglasien im Spessart demonstriert hat.
Die letzte große Protestaktion zur Rettung von Wäldern vor der Rodung war im Danneröder Forst gegen den Bau der Autobahn A 49 mitten in Hessen bei Stadtallendorf. Die betroffenen Waldeigentümer sind Mitglieder im Hessischen Waldbesitzerverband.
Personenschutz für Forstbetriebsleiter
Der Forstdirektor, Hartmut Bauer (Name von der Redaktion geändert), der mit den Rodungsarbeiten der 24 ha Waldfläche beauftragt war, ist ein ehemaliger Studienkollege von mir. Er ist über einen langen Zeitraum von Polizei, Sicherheitsdienst und Personenschützern rund um die Uhr bewacht worden. Im Februar dieses Jahres durfte ich mit ihm in das Trassengelände fahren. Ich konnte mir ein Bild machen, was es bedeutet, wenn ein vertrauter Forstkollege plötzlich Teil des Geschehens wird und sich unmittelbar von Demonstranten bedroht sieht. Unabhängig davon, ob man für oder gegen das Projekt ist, sind einige von uns immer direkt davon betroffen. Oft wehren sich Waldeigentümer in der Planungsphase jahrelang dagegen, dass ihr Wald durch ein Infrastrukturvorhaben zerstört wird. Irgendwann fällt eine endgültige Entscheidung und dann rollen die Maschinen.
Als ich die Trasse bei Stadtallendorf mit Hartmut Bauer besichtigen durfte, waren die Fällarbeiten abgeschlossen. Die Trasse ist bis heute durch einen 3 m hohen und 6 km langen Schutzzaun mit Natodraht gesichert. Die Maschinen stehen in einer Burg aus gestapelten Frachtcontainern, um sie vor Angriffen der Demonstranten zu schützen – zurecht, denn während der Rodungsarbeiten setzten Aktivisten eine Teermaschine, einen Bagger und sogar das Büro eines Forstunternehmers in Brand.
Das Gelände sieht aus wie ein militärisches Sperrgebiet. Vor der Einfahrt zur Trasse stehen Security-Fachkräfte, ebenso vor dem Eingang der Containerburg. Entlang des Zauns laufen Sicherheitskräfte Patroullie.
Bauer erzählt, was er seit Beginn der Rodungsarbeiten erlebt hat. Auf einer Waldfläche von etwa 700 ha haben die Demonstranten Barrikaden errichtet und den Wald besetzt. Es gab Schäden an 3 km Wegen, Eichenkulturen wurden zerstört und auf 700 ha Wald konnten keine geplanten Holzeinschläge durchgeführt werden. Auf den Zufahrtwegen zur Trasse hat er rund 500 Blockadebauwerke räumen lassen, die zum Teil mit Stahlankern tief im Boden einbetoniert waren.
156 Baumhäuser hatten die Demonstranten in zum Teil schwindelerregender Höhe errichtet. Etwa 1.000 Besetzer wurden im Laufe von vier Wochen vor den Fällarbeiten regelmäßig mit massivem Polizeiaufgebot, Hubsteigern und Profikletterern aus den Baumkronen geholt. Bis zu 2.000 Polizisten waren vor Ort im Einsatz. Der Höhepunkt war ein Demonstrant, der sich in einem sogenannten Skypott in 42 m Höhe festgehängt hatte. Die Aktivisten hatten dazu in der Baumkrone einen Baumstamm festgebunden, der weit über den Wipfel hinausragte. Am Ende des Baumstamms hing der Demonstrant – ein lebensgefährliches Unterfangen für alle Beteiligten.
Die Polizei ließ die geräumten Baumhäuser immer sofort nach der Räumung abbauen. Insgesamt hatte Bauer etwa 1.500 m3 Bauschutt zu entsorgen, die in Barrikaden, Hütten und Baumhäusern verbaut waren.
Immer wieder wurden Forstunternehmer und Mitarbeiter von Demonstranten massiv persönlich bedroht. Bis heute wurde bei der Räumung der Trasse im Konflikt mit den Demonstranten niemand schwer verletzt. Als wir aus dem Gelände zurück ins Büro fuhren, konnten wir einen Blick auf das Zeltlager der Demonstranten am Waldrand werfen. Schnee und Eiseskälte waren für die Hartgesottenen unter den Autobahngegnern und Waldschützern kein Hindernis, auszuharren und ihren Protest fortzusetzen. In einigen Jahren wird die Autobahn fertig gebaut sein und der Verkehr dort rollen. Der Wald ist zerschnitten und bei den Menschen in der Region, den beteiligten Unternehmern, den Polizisten und Demonstranten wird das Erlebte Spuren hinterlassen.
Christian Raupach