Schweden hat die EU-Ratspräsidentschaft für das erste Halbjahr übernommen. In diesem Zeitraum stehen einige wichtige Projekte an - unter anderem Entscheidungen zum Natural Restoration Law (NRL). Dieses EU-Gesetz soll Flächen in ihre Ursprungsform zurücksetzen. Davon betroffen ist auch der Forstbereich. Umweltverbände, die sich in Brüssel gegenseitig die Klinke in die Hand drücken, kolportieren bereits, Schweden könnte einen zu großen Augenmerk auf die Wirtschaftlichkeit dieses national wichtigen Wirtschaftszweigs richten. Angeblich haben die Skanidinavier ein angespanntes Verhältnis zur Holznutzung, wobei es sich eher um ein entspanntes handeln dürft.
Wie auch immer: Viel interessanter dürfte die nationale Umsetzung der Nordeuropäer sein. Sie planen ein früher wichtiges Landschaftselement, die extensive Weide, wieder auferstehen zu lassen. Dafür müsste dann Wald weichen - und das in erheblichem Maße. Bis zu siebenstellige Hektarzahlen sind im Umlauf.
Schweden will wieder mehr Grünland
Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (NRL) will Schweden frühere Weideflächen wiederherstellen, insbesondere solche, die als Forstflächen genutzt werden. Dazu muss man wissen, dass das Land seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts in großem Umfang ehemalige Weideflächen aufgeforstet hat. Wer in Schweden bereits unterwegs war, dürfte die Erfahrung gemacht haben, dass man auf Landstraßen in eine Art Waldtunnel eintaucht, der durchaus zweistellige Kilometerzahlen erreichen kann.
Das soll nun behoben werden. Wald und Grünland sollen auf ein früheres Verhältnis zurückgedreht werden. Konkret heißt das, Waldflächen abzuholzen und sie als Grünland fortzuführen. Lichte, extensive bewirtschaftete Weiden als Hotspot der Biodiversität, statt dunkler Wälder, das hört sich freundlich an, ist aber in der Wertewelt der EU-Kommission ein sehr böses Projekt. Denn sie hat den Wald bereits als CO2-Senke im Green Deal verplant. Alles, was dem zuwiderläuft, passt nicht ins Konzept.
Wegen EU-Vorgaben kein Markt für das Holz
Es wird geschätzt, dass im Rahmen des NRL bis zu einer Million Hektar bewaldete Fläche in Grünland umzuwandeln sind, wie aus einer Pressemitteilung des europäischen Bauernverbandes hervorgeht. Das ist wahrlich kein Pappenstiel.
Der größte Teil dieser Fläche ist in der Hand von landwirtschaftlichen Betrieben. Von diesen wird erwartet, dass sie sich nun umorganisieren, wie Palle Bergström, Präsident des schwedischen Bauernverbandes sagt. Er ist Milchviehhalter und bewirtschaftet selbst 200 ha Wald. „Konkret würde dies für meinen Betrieb bedeuten, dass ich wochenlang schwer arbeiten müsste, um mein Land ohne Gewinn zu roden.“ Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Holz aus Rodungen ist in der EU nahezu unverkäuflich. Das ist ein schlechtes Geschäft für die Waldbesitzer.
Viehbestände aufstocken als staatliche Direktive
Die Rodung und damit der Verlust von Wirtschaftswald wäre aber nur der Einstieg. Um die Flächen freizuhalten, müssen sie genutzt werden. Vorgesehen ist eine extensive Beweidung. Die Bauern müssten dafür Vieh anschaffen, also finanziell in Vorleistung gehen für einen Wirtschaftszweig, der kaum einen Rücklauf der Investitionskosten verspricht. Und dass unter dem kritischen Auge der EU. Vieh aufzustocken und sei es nur in begrenztem Umfang für eine extensive Beweidung - passt nicht in die politische Agenda, die lautet „weniger Methan durch weniger Vieh“.
Bauern sitzen zwischen den Interessenblöcken
Sowohl die EU als auch Schweden sehen sich bei ihrer Umwelt-, Klima und Agrarpolitik auf dem richtigen Weg. Die EU wird nicht müde, auf ihre Klimaziele zu verweisen. Der Kahlschlag von Wäldern wird da als kontraproduktiv angesehen. Nachdem die Klimakrise die Herausforderung der Zukunft ist, bleibt dagegen auch nichts einzuwenden.
Genau dieser Zukunft ist aber Schweden bereits deutlich näher gekommen als der Rest der EU. Mit einem Ausstoß von 4,4 t CO2/Kopf und Jahr ist das Land in dieser Disziplin Musterschüler - trotz der kalten, langen Winter. Es hat dadurch nur den halben Prokopf-Ausstoß Deutschlands, wie der Treibhausgasvergleich des Bundesumweltamtes für 2020 belegt.
Die Schweden sind damit faktisch der Vizeeuropameister, nur Malta ist besser. Daneben gibt es natürlich noch die Deutschen - wie immer als Europameister der Moral.
Außerdem haben sich die Nordeuropäer wiederholt als Vordenker erwiesen. Deshalb lässt es aufhorchen, dass das Land die Biodiversität in den Mittelpunkt rückt. Nur dumm für die Bauern, dass sie nun zwischen zwei Stühlen sitzen
Deutschland auf der Gegenspur unterwegs
Mit einem dürfte das Beispiel aus Schweden aufräumen: Nämlich, dass es keine Zielkonflikte zwischen den unterschiedlichen Disziplinen des Umweltschutzes gibt. Da helfen auch keine wissenschaftlichen Expertisen weiter, von denen es dann wieder genau so viele gibt, wie politischen Meinungen.
Letztendlich kommt es eben auf die Sichtweisen und auf die Priorisierung von Aspekten an– also ob man nun den Klimaschutz, die Biodiversität, den Naturschutz oder eine gesicherte Ernährung in den Mittelpunkt der Betrachtung setzt und welchen methodischen Ansatz man wählt. Dann sind auch ganz konträre Ergebnisse möglich. So liefert eine jüngst von Greenpeace beim Öko-Institut in Auftrag gegebene Studie ziemlich exakt das Gegenstück zu dem, was Schweden nun vorhat.
Die Studie des Öko-Instituts beschäftigte sich mit den Effekten des Abbaus von Tierbeständen. Dabei wurde dann als ein positives Ergebnis festgehalten, dass Grünlandfläche frei wird und als Wald genutzt werden könnte. Da dürften die Schweden den Kopf schütteln und vielleicht auch noch einige Bayern - gab es doch hier eine sehr erfolgreiche Volksabstimmung, die den Erhalt des Grünlands mit Blick auf die Biodiversität forderte. Aber vielleicht muss nun tatsächlich - neben dem bereits existierenden Landfraß durch Infrastrukturprojekte - in größerem Umfang Agrarfläche in Deutschland verschwinden, bis ein Umdenken einsetzt. 120 Jahre Zeit dürfte aber Deutschland nicht haben.
Unterm Strich heißt das, dass die Planungssicherheit für die Bauern immer weiter abnimmt. Was in einem Land angesagt ist, kann im anderen wieder als komplett falsch eingestuft sein. In Kombination mit dem überbordenden ordnungsrechtlichen Rahmen durch die EU wird die Luft zum Atmen damit immer dünner.